Der Horchheimer Fotograf Lothar Stein hat mit vielen Bildern zahlreiche Momente unserer Heimat festgehalten. Besonders hervorzuheben ist sein Beitrag zur Publikation der Heimatfreunde anlässlich der 800-Jahrfeier von Horchheim. Darüber hinaus übernimmt er für das Ortsmuseum der Heimatfreunde Horchheim die Objektfotografie. Seine Aufnahmen werden auf der Online-Plattform „museum-digital“ des Museumsverbands Rheinland-Pfalz präsentiert, was einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation und öffentlichen Zugänglichkeit unserer lokalen Geschichte darstellt.

Die Zusammenarbeit mit Fotoagenturen ermöglichte ihm Reisen in viele Länder und die Arbeit für verschiedene Auftraggeber. Seine internationalen Einsätze als Fotoreporter brachten ihm nicht nur wertvolle Erfahrungen, sondern auch eine Fülle an beeindruckenden Bildserien, die wir im Anschluss noch genauer vorstellen werden.

Immer auf dem Sprung:
der Fotograf Lothar Stein
„Ich glaub’, mich tritt ein Pferd“

von Rolf Heckelsbruch

Horchheimer Kirmes Magazin 2001,
S. 50 – 55

Schuhmachern sagt man ja bekanntlich nach, sie trügen schiefe Absätze. Wann, um Himmels willen, sollten sie auch dazu kommen, ihre eigenen Schuhe zu richten? Und wann sollte ein Fotograf dazu kommen, sich selber zu fotografieren? Fragt man den Fotografen Lothar Stein nach solch einem Porträt, dann sagt er: „Owei! Jetzt wird’s schwierig“. Und er sucht unter hunderten von interessanten Reportagebildern aus vielen Ländern und Orten, die er besucht hat, nach einem Bild, das ihn selber zeigt, um endlich, nachdem er eins gefunden hat, zu sagen: „Aber darauf sehe ich ja wie ein Verbrecher aus“. Ist er aber nicht. Er trägt lediglich seine Arbeitskluft: zerbeulte Jeans, zerknittertes Hemd, eine robuste Jacke mit vielen Taschen. Und er steht auf einer provisorischen Piste vor einem Frachtflugzeug, mit dem er eben gelandet ist und mit dem ein amerikanischer Pilot – „Kein anderer traute sich den waghalsigen Flug zu“, sagt Stein – 1992 Nahrungsmittel in das von Bürgerkrieg und Hunger zerrüttete Somalia flog. Und in ein afrikanisches Bürgerkriegsland fliegt man als Reporter nun einmal nicht im feinen Nadelstreifenzwirn.

Erzählt der 1954 in Horchheim geborene Lothar Stein von den damaligen Tagen in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, dann erfährt man, dass dies nicht gerade erholsame Tagen waren. „Nur in Begleitung gut bezahlter und gut bewaffneter Bodyguards konnte man sich auf die Straße wagen“. Und wenn dann 13- oder 14jährige Kindersoldaten spielerisch mit der Maschinenpistole auf ihn zielten und spaßeshalber ein paar Salven in die Luft ballerten, dann sorgte dies auch nicht gerade für gute Laune. Und Stein sinniert: „Ich frage mich heute noch, wie die an die G3-Sturmgewehre der Bundeswehr gekommen sind“.

Überhaupt: Viele Fragen könnte man sich in so einem afrikanischen Land stellen, in dem sich, wie in vielen. anderen, Korruption, Verbrechen, Vetternwirtschaft und schreiende Not nicht fein säuberlich trennen lassen. Und er berichtet, wie er in einer Caritas-Dependance einen dieser undurchschaubaren Clan-Fürsten um Hilfe für seine Leute bitten sah, während er am Handgelenk eine Rolex-Armbanduhr trug, „die ich mir nie leisten könnte“, sagt Stein. Aber deshalb nichts mehr spenden? Keine Hilfe mehr leisten? Da hat der Fotograf auch andere Bilder im Kopf. In einem Krankenhaus: Verwundete, elende Menschen in überfüllten Zimmern, auf den Fluren, in schmutzigen Betten und-auf der Erde. „So etwas sieht man bisweilen auch im Fernsehen, aber man greift dabei zu Käsebrötchen und Bier, weil man den infernalischen Gestank von Blut, Urin und Scheiße nicht in der Nase hat“. Ein Gestank, in dem eine Ärztin versucht zu helfen, wo nach zu helfen ist. Eine Situation, von der sie glaubt, so ähnlich müsse sie wohl in den Hospizen des Mittelalters gewesen sein. Aber vermutlich war sie dort besser.

Nun geht es in solch einem Fotoreporterleben Gott sei Dank nicht immer um Leben oder Tod, es sei denn, um den Tod eines. schwarzen Stieres in der Arena von Pamplona, was ja auch irgendwie ein Tod zuviel ist. Doch Lothar Stein hat über den rituellen Kampf der Matadores mit der Kreatur eine packende Bildserie gemacht.


Aber er sah auch friedliche Ereignisse durch den Sucher seiner Kamera. Etwa in Taizé, jenem burgundischen Pilgerort, den Roger Schutz 1949 mit einer Hand voll Gleichgesinnter aus christlichem Glauben und aus den Schrecken des Krieges heraus als einen alle Religionen übergreifenden Ort der Kontemplation und Stille gründete. Ein Ort, der vor allem zu einem weltweiten Pilgerziel für junge Menschen wurde. Lothar Stein konnte dort – was eigentlich der Kamera verborgen bleiben sollte – die Weihe neuer Brüder durch Frère Roger fotografieren.

Und in seinem dort entstandenen Foto von einem nachdenklichen jungen Mann, der mit seiner brennenden Kerze gleichsam wie das Gesicht aus der Menge hervorragt, zeigt Lothar Stein, dass in der intuitiven Erkenntnis eines kurzen Moments und dem gleichzeitigen Druck auf den Auslöser „die entscheidende Qualität eines Fotografen liegt. Was heißt, gewisse Dinge zu sehen und sich von ihnen bewegen zu lassen“. Darin jedenfalls sah der große irische Schriftsteller George Bernhard Shaw schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Geheimnis der Fotografie begründet. Nämlich in der einzigartigen Möglichkeit, eine Sekunde für alle Zeit stillstehen zu lassen.

Wie kommt man dazu, Fotoreporter zu werden? Auf Umwegen. Die Horchheimer Grundschule stand für Lothar Stein am Anfang. Dann der Weg ins Oberlahnsteiner Gymnasium. Das Abitur und der Beginn eines Kunstgeschichtlichen Studiums an der Mainzer Uni. Das Ziel: Kunsterzieher. „Aber irgendwie war mir der Stoff zu trocken“, sagt Stein. Keine allzu große Begeisterung löste er zunächst bei seinen Eltern aus, als er sich für ein Studium der Fotografie an der Dortmunder Gesamthochschule entschloss. Er legte seine Fotomappe vor – und überzeugte mit seinen Bildern. Unter mehr als hundert Bewerbern gehörte er zu den wenigen, die einen Studienplatz erhielten. Acht Semester Theorie und Praxis, unter anderem bei dem renommierten Fotografen und, so Stein, „liebenswerten Chaoten“ Pan Walter.

Dann, 1981, eine Bildreportage aus der Dortmunder Westfalenhalle. Sechs-Tage-Rennen. Sechs Tage und sechs Nächte fotografierte Lothar Stein im Wechsel mit zwei Studienkollegen die manchmal wilde, nachts auch schon mal gemächliche Jagd über die ovale Piste. Sie fotografierten Fans und Fahrer, Freaks und „Abgefüllte“. Und weil den Champions, unter ihnen „Didi“ Thurau, die Bilder gefielen, standen den drei Fotografen auch Massageräume, Kabinen und Kojen offen. Ein Jugendmagazin druckte ihre Bilder, dann die Fachzeitschrift „photo“, und die Leitung der Westfalenhalle ermöglichte ihnen eine Ausstellung.

Das war noch nicht der Durchbruch, aber von nun an ging’s bergauf. Lothar Stein fand Zugang zu einer Reihe exzellenter Bildreporter, die für die Fotoagentur „present“ arbeiteten. Für sie und andere Auftraggeber reiste er in viele Länder, fotografierte Jugendgangs und soziale Verhältnisse in Mexico City, fotografierte den „Tanz der Masken“ beim Karneval in Venedig und die Arbeiterinnen in einer der „Fabrica de Tabacos“ auf Kuba und die Nostalgie weckenden „Oldtimer“-Autos, die dort noch über die Straße rollten.




Er fotografierte in den Rocky Mountains, wo wildwest-begeisterte Amerikaner in stilechten Kostümen als Indianer, Siedler und Soldaten alljährlich die mehr oder weniger heroischen Zeiten des „Go West“ beschwören.

Er fotografierte in Fort Myers, wo einst die Erfinder Ford und Edison Tür an Tür wohnten, spürte dem „Wunder von Guadeloupe“ in Mexico City nach, schaute mit seiner Kamera aber auch den Geigenbauern im erzgebirgischen Marktneukirchen über die Schulter und berichtete unter dem Titel „Kein Job für Drückeberger“ in schonungslos offenen, aber wahrhaftigen Bildern aus einem Seniorenheim über die Arbeit von Zivildienstleistenden an bettlägerigen alten Menschen.

Aber die Agentur „present“ existiert nicht mehr. Fotoreporter werden heute immer mehr zu Einzelkämpfern. Lothar Stein macht. sich keine Illusionen. Die Zeit der großen Bildreportagen – die ihm am Herzen liegen -, die Zeit der großen Bildreporter und der engagierten Chefredakteure à la Henri Nannen sind weitgehend passé. Die in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Karl Pawek noch philosophisch untermauerte „Life-Photographie“ als prägendes Element des „Optischen Zeitalters“ ist unter der immer trivialer werdenden Bilderflut des Fernsehens zu einer Randerscheinung für Kenner verkümmert. Die Fotografie selbst ist mittlerweile digitalisiert. Fotografien sind zu einer manipulierbaren Ware geworden. Ob sie „wahr“ sind oder „getürkt“, liegt in den Händen und im Gewissen des Fotografen.


Lothar Stein hat sich derweil auch auf Industrie-Reportagen spezialisiert, wenngleich es ihm, wie er sagt, „bisweilen schwerfällt, mich und meine Bilder anzudienen“. Aber man muss leben und das Leben bezahlen können. Und sieht man seine Bilder, die er bei einem Flug nach Boston für die „Deutsche Flugsicherung“ im Cockpit eines Airbusses machte, oder die Fotografien, die beispielsweise unter dem Titel „Reben, Riesling, Ranger“ für die Kölner Ford-Werke oder auf dem Nürburgring für deren neues „Fiesta“- Modell entstanden, dann weiß man, dass für Lothar Stein die Kamera kein kalter Mechanismus ist, sondern dass hinter ihr ein Mensch steht, für den Bildermachen immer eine Frage der Kreativität und der Phantasie sein wird.

Ach ja. Man fragt ja gerne nach dem besonderen Erlebnis. Lothar Stein hatte eines, als er früh um Fünfe den Jockey Peter Schiergen in Köln vor dem Training fotografierte. Irgendwie schien dessen edler Gaul „Lando“ was gegen Fotografen zu haben. „Plötzlich“, sagt Lothar Stein, „sah ich seine Hinterhufe auf mich zufliegen“. Und seit der Zeit ist ihm der unvergessliche Spruch des heute fast vergessenen SPD-Finanzministers Hans Apel: „Ich glaub’, mich tritt ein Pferd“ tief in Erinnerung. Denn zwei gebrochene Rippen schmerzen verdammt lange.

Rolf Heckelsbruch


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