von Maritha Holl-Biegmann
Horchheimer Kirmeszeitung 1980
Seite 57, 59
Im Sommer 1889 reifte bei der Verwaltung der Aktiengesellschaft Löhnberger Mühle (das Stammhaus lag in Löhnberg a. d. Lahn) der Entschluß, das Unternehmen um eine Mühle am Rhein zu erweitern. Sie sollte den Bedarf an Roggenmehl decken und russischen Roggen mit einheimischen Produkten verarbeiten. Die angestrebte Tageskapazität lag bei 1000 Sack Roggen. Zunächst dachte man an einen linksrheinischen Standort in der Nähe der Königsbach. Eine eingehende Untersuchung durch die Direktoren Simon, Schulte, Macco sowie Mühlenbaumeister Ehrenberg warf etliche technische Probleme auf, so daß man sich für einen anderen Platz entschied: Auf der rechten Rheinseite, zwischen Rhein und Eisenbahnlinie.
Ein 1,5-Millionen-Projekt
Die Generalversammlung der Aktiengesellschaft genehmigte 1890 unter Nr. 1 der Tagesordnung „die Errichtung einer Mühle in Niederlahnstein“.
Zwar liegt die Löhnberger Mühle eindeutig auf Lahnsteiner Gebiet, doch die Horchheimer haben diesen imposanten Industriebau schon lange als ihre „Müll“ gedanklich eingemeindet. Vor 90 Jahren fiel der Startschuß zu den Bauarbeiten, die am Rheinufer eine funktionsgerechte, aber auch in ihrer Baugestalt interessante Großmühle entstehen ließen.
Mit dem Ausgraben der Fundamente wurde am 7. Mai 1890 begonnen. Nach Vorschrift der Strombauverwaltung musste die Front des Gebäudes um 26 m von der Korrektionslinie zurück gesetzt werden, um die wünschenswerte Verbreiterung des Strombettes zu ermöglichen. Der Boden bis zum Rheinspiegel wurde abgetragen und fortgeschafft. Das Ausbaggern unter dem Wasserspiegel übernahm die Strombauverwaltung. Nach gut zweijähriger Bauzeit konnte man am 16.9. 1892 mit den Mahlungen beginnen. Die Anlage galt als in jeder Hinsicht musterhaft und war nach den damals neuesten technischen Erkenntnissen eingerichtet.
Krisenzeiten
Im Jahre 1910 geriet die Roggenmüllerei in eine mißliche Lage und die Löhnberger Mühle in Zugzwang. Man wich von der Eingleisigkeit ab und verarbeitete täglich neben 50 t Roggen auch 70 t Weizen. Für die Arbeiter war es in dieser Zeit schwer, ihre Familien zu ernähren. Noch schwieriger wurde die Situation in den Jahren 1920 – 22, als die Nachwirkungen von Weltkrieg und Versailler Vertrag voll über die Zivilbevölkerung hereinbrachen. Mehl wurde wie vieles andere zur raren Kostbarkeit. Die Löhnberger Mühlenarbeiter als „Leute an der Quelle“ wußten sich zu helfen. Sie fuhren mit Werkzeugkasten, die auf die Fahrräder geschnallt waren, zur Arbeit. Bei der Heimfahrt waren die Werkzeugkasten und die Farbdosen der Anstreicher mit kostbarem Mehl angefüllt. Der Werksleitung war dieser Mundraub zwar bekannt, wurde aber mit einem Augenzwinkern übergangen. Nachdem sich die Lage wieder normalisiert hatte, bekamen die Arbeiter und Angestellten ihre regelmäßige Mehlzuteilung.
Neuer Besitzer
Ende 1929 erwarb Herr Kampffmeyer, der Vater des jetzigen Besitzers, die Aktienmehrheit des Kapitals und gründete Ende 1939 die Rheinisch-Nassauische Lagerei- und Speditionsgesellschaft. Die Familie Kampffmeyer betreibt seit Generationen den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und die Verarbeitung von Getreide. Die Gruppe mit ihren Handelshäusern, Getreidemühlen, anderen Nahrungs- und Futtermittelproduktionsstätten sowie Dienstleistungsbetrieben zählt zu den führenden Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft in der Bundesrepublik und in Europa. Einige Jahre später ging das Unternehmen der Löhnberger Mühle unter dem Namen „Rheinisch-Nassauische Lagerei und Spedition Kurt Kampffmeyer“ in den Alleinbesitz von Herrn Kampffmeyer über.
Riesige Lagerkapazität
Zunächst einmal beschränkte man sich auf die Lagerung und den Umschlag von Mühlenfabrikaten, In- und Auslandsgetreide und Bearbeitung und Wiederverladung der Getreideernte aus Rheinland-Pfalz. Mit 15000 t Fassungsvermögen Lagerraum war die ehemalige Löhnberger Mühle das größte Lagerhaus am Mittelrhein. Durch den Bau einer Lagerhalle für Getreide und andere Güter mit einer Kapazität von 18000 t vergrößerte sich der Betrieb gewaltig. Dam alten massiven Backsteinbau sieht man es nicht an, daß er im Laufe der Jahre mit den modernsten Getreideverarbeitungsanlagen und Förderelementen ausgerüstet wurde.
Einstieg in das Ölgeschäft
Wegen der riesigen Lagerkapazität war es unumgänglich, zwei neue Krananlagen zu bauen (Kapazität 4 und 7 t). Weiter wurden alle modernen Anlagen geschaffen, wie ein betonierter Lagerplatz, eine Waggonwaage, eine Fuhrwerkswaage und eine Erweiterung des Gleisanschlusses zum Bahnhof Niederlahnstein. Durch den Bau eines Großtanklagers mit der Möglichkeit des Umschlages und der Lagerung von Kraftstoffen und Heizöl nahm das Unternehmen weiteren Aufschwung. Straßentankwagen und Bahnkesselwagen versorgten die nähere und weitere Umgebung mit flüssigen Brennstoffen.
Als 1963 der Rhein zugefroren war, versorgte die Rheinisch-Nassauische als einziges Großlager in der Umgebung die Verbraucher mit Öl. Heute hat die Rheinisch-Nassauische Lagerei und Spedition Niederlassungen in Köln, Krefeld, Duisburg und Dortmund. Die ehemalige Löhnberger Mühle beschäftigt zur Zeit 70 Personen, davon rund 10% Horchheimer.
Die Geschäftsführung unter Leitung von Herrn Grotkamp befindet sich in Niederlahnstein. Zur Zeit lagern in der Löhnberger Mühle Düngemittel, Getreide, feste Brennstoffe und Mineralöl. Für das Getreide stehen spezielle Lagerhallen zur Verfügung, in denen zum Beispiel Weizen bis zu 10 Jahren gelagert werden kann.
Die Masse der Anlieferungen erfolgt per Schiff, und zwar mit Küstenmotorschiffen aus England, Skandinavien und den Benelux-Ländern, vereinzelt auch per LKW. Noch heute wird das Getreide aus der Umgebung angeliefert. Vor der Einlagerung werden Proben der Lieferung in Hamburg einer eingehenden Untersuchung auf Lagerfähigkeit, Schädlinge usw. unterzogen.
Bemerkungen zur Baugestalt der Löhnberger Mühle
von Udo Liessem
Horchheimer Kirmeszeitung 1980
Seite 59
Das 19. Jahrhundert ist mit einer Fülle von Bauaufgaben konfrontiert worden, denen es nicht gewachsen war, für die es keine entsprechende Baugestalt gab. Deswegen wurden solche Bauten mit einem äußeren Formenapparat drapiert, der aus anderen Bereichen des Bauens kam; darunter litt jedoch keinesfalls die Funktionstüchtigkeit des Objektes. Diese ‚Verkleidung‘ mit artfremden Motiven galt insbesondere für Industriebauten. Das Finden eigener Bauaussagen für Industriebauwerke ist, bis auf wenige Ausnahmen, erst im 20. Jahrhundert befriedigend gelöst worden. Das ausgehende vorige Jahrhundert, die Jahre nach der Reichsgründung 1871, brachte eine riesige Zahl von Firmengründungen und Erweiterungen bestehender Fabrik- und Produktionsanlagen. Hierzu gehörten auch Großmühlen. Zwar war der Typ der Mühle eine jahrtausendalte Bauaufgabe, die schon in der Antike mit Bravour gelöst worden war. Für die nun entstehenden Großmühlen aber gab es noch keine entsprechenden Vorbilder.
Ursprünglich Roggenmühle
Solch eine Großmühle war die unmittelbar an der Grenze zu Horchheim errichtete Löhnberger Mühle, direkt am Rhein gelegen, ausgestattet mit einer eigenen Schiffsverladeeinrichtung und rückwärtigem Gleisanschluß. Sie ist 1890 – 92 nach Plänen des Mühlenbaumeisters C. Ehrenberg (Berlin) errichtet worden, eine Roggenmühle, die 1911 teilweise auf Weizenmehlfabrikation umgestellt wurde und dazu erweitert werden musste.
Anleihen beim Mittelalter
Bei der Löhnberger Mühle handelt es sich um einen Massivbau, ausgeführt in dunkelbraunen Ziegeln. Parallel zum Rhein liegt der Hauptbau, der über 15 Achsen verfügt und in seitlichen Flügeln ausläuft, so daß eine hufeisenförmige Anlage entsteht. Sie ist nach dem Land zu offen und bildet hier einen Hof, der bewußt Assoziationen an einer „cour d’honneur“ wachrufen soll.
Die seitlichen Flügel verfügen zwar ebenfalls über 15 Achsen, doch ist hier die Achsenstellung viel dichter, so daß diese Bauten kürzer als die Hauptfront sind. Stromaufwärts ist an das Hauptgebäude ein weiterer Bau angefügt, von gleicher Höhe, jedoch nach Osten einspringend, der ein Achsenverhältnis von 3:7 aufweist. Im Winkel zwischen Haupt- und Nebenbau erhebt sich ein schlanker quadratischer Turm, der die gesamte Gebäudegruppe um zwei Geschosse überragt und mit vier durch Zinnen geschmückte, zwischen steinerne Geländer gespannte Ecktürmchen abschließt, deutliche Anlehnung an mittelalterliche Feudalarchitektur. Der für den Produktionsablauf notwendige Turm soll durch sein Dekor zum Symbol unternehmerischer Leistung werden.
Der ganze riesige Baukörper, einschließlich der Flügelbauten und des südlichen Anbaus ist einheitlich sechs Stockwerke hoch. Zwei Sockelgeschosse, drei Hauptgeschosse und ein Abschlußgeschoß folgen einander. Dabei werden die drei Zonen jeweils durch kräftige, profilierte Gurtbänder geschieden. Das reiche Hauptgesims mit einem stark vorspringenden Konsolenfries trägt die rings umlaufende Attika, hinter der sich das flache Dach verbirgt.
Renommierfassade
Folgende Betrachtungen gelten nur noch der Stromfassade, die als Haupt- und Schaufront ausgebildet wurde.
Nicht nur den Geschäftspartnern das Mühlenbesitzers, sondern auch den schon damals sehr zahlreichen Rheintouristen sollte die Anlage imponieren und im Gedächtnis haften bleiben. Folglich ist die riesige Front künstlerisch durchgestaltet worden:
Die drei äußeren und die drei mittleren Achsen sind risalitartig um Weniges vor die Front gezogen worden, ein Mittel, daß aus der Schloßbauarchitektur kommt. Hier werden schon die 3 Flügel angedeutet; durch das Vor- und Zurückspringen wird die Front belebt. Der Mittelrisalit ist etwas breiter als die beiden Seitenrisalite, auch überragt er die beiden mit seiner Attika um ein Geringes. Bei den Risaliten ist die Attika in ihrem mittleren Bereich aus Balustern gebildet, während sie sonst einen durchgehenden Mauerstreifen darstellt. Übrigens werden die drei Achsen der äußeren Risalite von Mauerstreifen flankiert, die über große gemauerte Spiegel verfügen.
Verwandtschaft mit Schloß Stolzenfels
Obwohl nur wenige stilistische Mittel bei der Ausstattung der Stromfassade angewandt wurden, die sich zudem ständig wiederholen, kommt keinerlei Eintönigkeit auf, nur eine distanzierte, wiederum beabsichtigte Kühle. Eine Belebung bilden die Risalite. Die Symmetrie unterbricht der südliche Anbau mit dem schlanken Turm.
Die Formen atmen einen vornehmen Spätklassizismus, der seine Berliner Herkunft nicht verleugnen kann. Letztlich sind es sogar Schinkelbauten wie die Bauakademie in Berlin gewesen, die Vorbildcharakter getragen haben. Somit ist der Bogen, wie merkwürdig das auch berührt, von der Löhnberger Mühle zum schräg gegenüber liegenden Schloß Stolzenfels geschlagen, das auch weitgehend durch Schinkel bei seinem Wiederaufbau geformt worden ist.