Print Friendly, PDF & Email

Erinnerungen an Kino, Kegeln, Tanz und Gartenwirtschaft

Kirmes Magazin 1974
Seite 24 – 26

Horchheimer Lichtspiele

Foto © Lothar Stein, Koblenz-Horchheim

Gebannt starren 316 Augenpaare auf das Geschehen! Im Dunkel der Nacht schleicht sich der verwegen-edle Kara Ben Nemsi unter Lebensgefahr und in Begleitung seines sprücheklopfenden getreuen Dieners Hadschi Halef Omar an das Lager der bösen Sklavenhändler, um mit Allahs Hilfe und nach Vorschrift von Drehbuch und Regisseur eine neue Heldentat zu vollbringen. Die Spannung knistert – manchmal ist es auch Schokoladenpapier – und der tolpatschig-schlitzohrige Beschützer des großen Effendi läßt das jugendliche Publikum mit seinen komischen Auftritten immer wieder vor Vergnügen toben…
Impressionen aus dem Film „Die Sklavenkarawane“ – einer der Glanzpunkte aus 40 Jahren Kino in Horchheim. „Kirmes“ blendet in diese „cineastische Epoche“ zurück …

„Original Kintopp“

1927 stieg Franz Ries in das noch junge Filmgeschäft ein, beschaffte sich eine Stummfilmapparatur und führte zur Premiere „Sonny Boy“ vor. Bis 1930 gab es „Original-Kintopp“- Filme nur mit Untertiteln und „live“-Vertonung. Denn Hans Wüst am Harmonium und Hanni Wirtz als Geiger besorgten die musikalische Untermalung des stummen Leinwandgeschehens. So schluchzte es sich oft sozusagen dreidimensional: die flimmernde Hauptdarstellerin, deren Herz zum x-ten Male zerriß, die Geige von Wirtze Hanni und dazu die empfindsame Weiblichkeit im Parkett. Wochentags lieferte auch ein Grammophon den notwendigen Background.

„Die ersten Tonfilme liefen 1930 bei uns“, erzählt Julius Ries (47), der praktisch mit dem Kino groß wurde. „Im Winter mussten die Maschinen sich vorher warmlaufen. Trotzdem jaulte der Ton häufig ganz fürchterlich.“ Die damals zahlreichen Kinofreunde nahmen solche technischen Unvollkommenheiten in Kauf. Am Wochenende strömte man scharenweise zum Zelluloid-Vergnügen, das durch unfreiwillige Unterbrechungen infolge Filmriss nur unwesentlich getrübt wurde. Wem die Pausen zu lange dauerten, der konnte die Wartezeit im Lokal überbrücken.

Nur die älteren Horchheimer erinnern sich noch an die stimmungsvollen Tanzveranstaltungen an Kirmes und Karneval im Saalbau Ries.

„Mehrzweckhalle Ries“

Die Kombination „Kino-Gaststätte“ bewährte sich vor allem auch an Faasenacht und Kirmes. Dann verschwanden die Stühle in Bohrs Scheuer, und im Kinosaal, wo sonst die Stars aus den Bild/Tonkonserven die Szene beherrschten, schwang Horchheims Jugend das Tanzbein – bis 1955. „Für uns war das immer ein Bombengeschäft“, meint Riese Jul. Nebenbei diente das Lichtspielhaus auch als Auditorium für Chor- und Theaterveranstaltungen.

Während des Krieges gingen die Filmvorstellungen weiter („Wir hatten einen besonderen Luftschutzraum eingerichtet“), bis der Saal kurz vor Kriegsende zweckentfremdet wurde. 450 russische Fremdarbeiterinnen fanden hier für 8 Tage eine streng bewachte Notunterkunft. 1946 demontierte die Militärverwaltung die Anlage und setzte sie nacheinander in der Augusta-Kaserne, in Lahnstein, Altendiez und Bad Kreuznach zur Unterhaltung der Besatzungssoldaten ein. Als Vorführer fungierte Julius Ries. „Aus Kreuznach holten wir schließlich die Anlage auf dem LKW von Pretze Jupp zurück.“

Renaissance aus der Eiskiste

Mit einem AEG-Gerät namens „Triumphator“ („Das hatten wir in einer Eiskiste unter dem Hühnerstall vor der Beschlagnahmung gerettet“) begann Kino in Horchheim, Teil II. Trotz – oder gerade wegen – der damaligen armen Verhältnisse erfreute sich der „Illusionspalast“ besonderen Zuspruchs. Der Mangel an Heizmaterial für den Saal führte zu einem interessanten „Winter-Aufschlag“ auf die niedrigen Eintrittspreise: Die Leinwandhungrigen mussten einige Stücke Holz oder Briketts an der Kasse abliefern. Die technische Qualität des Filmmaterials machte damals einigen Kummer. „Es waren teilweise die letzten Schwarten mit Hunderten von Klebstellen“, erzählt Julius Ries, dem auch einmal Filmrollen wegen solcher Mängel in Brand gerieten.

Zensur und „Saubere Leinwand“

Gewisse Schwierigkeiten gab es durch die „Zensur“ der französischen Besatzungsstreitkräfte. Der übliche Programmvorspann „Fox tönende Wochenschau“ (eine amerikanische Produktion) war vor dem Einsatz im Büro der „Sureté“ auf dem Oberwerth vorzulegen. Alle Szenen, die dem „gloire“ der „grande nation“ irgendwie abträglich sein konnten, wurden geschnitten.

Gerüchte, denen zufolge es eine hauseigene Aktion „Saubere Leinwand“ gegeben haben soll – angeblich wurden anrüchige Szenen mit Hilfe einer Fliegenklappe ausgeblendet – tritt J. Ries entschieden entgegen. Als nachprüfbare Tatsache darf aber die „Entschärfung“ von Filmplakaten in Horchheimer Geschäften gelten. Allzu freizügige entblößte weibliche Reize bedeckte man schamhaft mit einem sittenbewahrenden Aufkleber.

Überhaupt sah man damals seitens der „Obrigkeit“ sehr auf Sitte und Ordnung. Jugendamt und Polizei kontrollierten phasenweise streng die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen. Einmal – so um 1950 – kam Schutzmann Knopp vom Ehrenbreitsteiner Revier in eine nicht jugendfreie Vorstellung. Das strenge Auge des Gesetzes erspähte einen offensichtlich nur „Möchtegern“-Erwachsenen und zitierte den Altersgrenzensünder aus dem Saal – wo sich das Publikum vor Lachen bog, da der Gesetzeshüter einen gut 30jährigen erwischt hatte.

Streng ging es auch bei sogenannten Aufklärungsfilmen zu. Auf höhere Anordnung spannte man ein Seil zur Geschlechtertrennung durch die Stuhlreihen. Rechts saßen die Jungen – links die Mädchen. Dieser Sicherheitsabstand sollte vermutlich verhindern, daß sich durch Leinwandgeschehen angeregte handgreifliche Übergriffe ereigneten …

Tränenströme und Lachstürme

Natürlich ermunterte das Halbdunkel des Kinosaals zu allen Zeiten manche Gäste zur besonders intensiven Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen …

Das Publikum ist sich wohl fast überall gleich. Auch im Lichtspielhaus Ries „schwamm“ das Parkett bei rührseligen Streifen in Tränen, während die Lachsalven bei manchen Slapstick- und anderen Komödien den Saal erschütterten. „Absolute Spitze war da die alte Frau Bingel“, berichtet J. Ries. „Die kriegte sich oft gar nicht mehr ein.“

Interessant fand er das Verhalten von Kindern bei spannenden Filmen. „Die gingen unwahrscheinlich mit und schwitzten mit ihren Helden um die Wette, so daß oft die Wände beschlagen waren.“ Wenn im Sommer besondere Affenhitze herrschte, sperrte man alle Türen auf und spritzte draußen noch Wasser zur Abkühlung – ein original „Ries-Service.“

Publikumsrenner und Pleiten

Die Bestseller in Horchheim entsprechen dem allgemeinen Publikumsgeschmack: Vor dem Krieg ließen vor allem Streifen mit den Stummfilmgrößen Charly Chaplin, Ben Turpin und Buster Keaton die Kassen klingeln, ebenso Filme mit Lil Dagover, Hans Albers und Marika Röck. In den Jahren nach dem Krieg füllten z. B. „Das Indische Grabmal“, „Tiger von Eschnapur“, „Die Brücke am Kwai“ oder auch die „Sissi“-Folgen mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm den Saal bis auf den letzten Platz.

„In Glanzzeiten hatten wir täglich vier Vorstellungen, so daß wir gar nicht mehr aus dem Vorführraum herauskamen.“ Aber in den 60er Jahren häuften sich die Pleiten für den Familienbetrieb, der nur einen Vorführer beschäftigte. „Wir spielten manchmal nur für 12, 13 oder 15 Gäste.“ Die Kasse stimmte nicht mehr. Als Hauptursache des Kinosterbens, dem 1966 auch das Horchheimer Theater zum Opfer fiel, betrachtet Julius Ries nicht die Konkurrenz des Pantoffelkinos, sondern die wachsende Mobilität des Publikums. „Man fährt mit dem Auto raus und hat so ganz andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.“ Hinzu kam die Misere der Verleihpraktiken. „Spitzenfilme erhielten wir immer erst viel später als die Koblenzer Kinos.“ Das System der Kontingentbestellung tat ein übriges. Unter 15 Filmen waren vielleicht 3-4 publikumswirksame Streifen, der Rest spielte kaum die Unkosten ein. So wechselte der gelernte Elektriker, der viele Reparaturen selbst durchführte, endgültig vom Vorführstand zum Schanktisch. Hier „Iäuft“ es besser …


Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Koblenz:
FA 4.21 Nr. 6 Bild 195: Horchheim. Restauration und Lichtspielhaus, Saalbau Zimmermann, Inhaber Franz Ries, Bundes-Kegelbahn, Gartenwirtschaft, Billard.


Kirmes Magazin 1974 | Kintopp in Horchheim – Als die Bilder bei uns laufen lernten

Im Folgenden stellen wir Ihnen eine Auswahl von Filmprospekten zu den im Kino Horchheim gezeigten Filmen vor, die wir in vier zeitliche Kategorien eingeteilt haben: Vorkriegszeit, Kriegszeit, Nachkriegszeit und spätere Jahre. Jeder Flyer enthält interessante Details zu einem bestimmten Film, darunter Inhaltsangaben, Besetzungslisten und Hintergrundinformationen.


Skip to content
Datenschutz
Wir, Heimatfreunde Horchheim e.V. (Vereinssitz: Deutschland), verarbeiten zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Datenschutz
Wir, Heimatfreunde Horchheim e.V. (Vereinssitz: Deutschland), verarbeiten zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in unserer Datenschutzerklärung.