von Robert Stoll
Kirmes Magazin 1980
Seite 53-55
Beim Stichwort „Heiligenhäuschen“ denken die meisten Horchheimer sicher zunächst an das jahrelang heiß umkämpfte, in vielen Planspielen hin- und her- und schließlich beinahe abgerissene Bauwerk in der Alten Heerstraße, das buchstäblich in letzter Minute gerettet wurde. Weniger Glück hatte das Heiligenhäuschen auf unserem Bild, von dem diesmal die Rede sein soll:
Das Marienkapellchen in der Einmündung der Bächelstraße in die Emser Straße
Im Frühjahr dieses Jahres (1980) waren es 35 Jahre her, da es in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges durch Artilleriebeschuss stark beschädigt wurde. 1948 beschloss man, die Trümmer zu beseitigen und es aus Verkehrsgründen nicht mehr an seiner alten Stelle aufzubauen. Noch im selben Jahr begann man als Ersatz mit dem Bau eines Heiligenhäuschens an der Einmündung der Mendelssohnstraße (damals noch Hochstraße) in die Bächelstraße. Das Baugelände stiftete auf ihrem Hausgrundstück die Familie Severus Knopp, indem sie es der Pfarrgemeinde übertrug. Den Bau übernahmen ohne Entgelt die beiden Horchheimer Bauunternehmer Franz Schneider und Dachdeckermeister Robert Stoll.
Die Immerwährende Hilfe
Wenn wir das jetzige Heiligenhäuschen mit dem auf unserem Bild vergleichen, so lässt sich keine Ähnlichkeit feststellen. Das Bauwerk an der Ecke Bächelstraße/Emser Straße (früher Hauptstraße) war viel größer und ähnelte den auch heute hoch in unserer näheren Heimat anzutreffenden Kapellen. Der Grundriss war rechteckig und lief in der Bächelstraße in einem Halbrund aus. Gebaut war es aus Bruchsteinen, innen und außen aber verputzt. Die Außenmauern waren in gelben Farben gestrichen. Das Innere erreichte man von der Emser Straße aus über drei Basaltstufen. Der Giebel auf dieser Seite trug die Inschrift:
Das Dach war aus Holz und mit Schiefer gedeckt. Im Innern der Kapelle standen vor dem Bild der „Immerwährenden Hilfe“ zwei Holzbänke, die zum Gebete einluden. Das auf Holz gemalte Bild hatte wohl keinen größeren künstlerischen Wert und ging in den Wirren der Nachkriegszeit verloren. An kirchlichen Feiertagen brannten vor ihm die von Gläubigen zu Ehren der Muttergottes gestifteten Kerzen, und in den Sommermonaten schmückten es Blumen aus den benachbarten Hausgärten.
Aus dem 17. Jahrhundert?
Das Alter dieses Heiligenhäuschens ist ungewiss, ebenso seine Entstehungsgeschichte. So wurde es u.a. in einer Veröffentlichung von Heinz Schüler aus dem Jahre 1977 „Wegekreuze und Heiligenhäuschen im Stadtkreis Koblenz“ mit einer für Horchheim folgenschweren Begebenheit im Dreißigjährigen Krieg in Verbindung gebracht. Auf Seite 47 dieser Schrift heißt es:
„Vorläufer eines Horchheimer Heiligenhäuschens soll ein Wegekreuz gewesen sein, das für den Kroatenführer Janco Draganic gesetzt wurde.“
In der 1964 erschienenen Festschrift „750 Jahre Pfarrgemeinde Horchheim“ (Seite 63) wird diese Geschichte wie folgt erzählt:
„In den Jahren des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) wurde auch unsere engere Heimat zum Kriegsschauplatz. Aus Furcht vor den anrückenden Schweden flüchteten die Horchheimer in einen zwischen Horchheim und Niederlahnstein gelegenen Hohlweg.“
Der „Rheinische Antiquarius“ berichtete hierzu:
„Jener Hohlweg schien den Flüchtlingen ein sicheres Versteck. Darin sind sie tatsächlich vom Feinde nicht beunruhigt worden. Aber ein großer Teil von ihnen, Frauen und Kinder besonders, mussten verschmachten oder erfrieren, wegen des strengen Winters und weil die Schweden länger als erwartet in der Horchheimer Gemarkung liegen blieben.“
Der Hohlweg heißt heute noch Hungergasse. Nach den Schweden kamen mit den Kaiserlichen die Kroaten unter Führung von Janco Draganic. Dieser schwor beim Anblick des sich in dem Hohlweg bietenden Leides, an den Schweden Rache zu nehmen. Bei der Belagerung von Koblenz und Ehrenbreitstein fügte der Kroate mit seinen Mannen dem Gegner schwere Verluste zu, so dass eine Belohnung von 1000 Liores auf seinen Kopf ausgesetzt wurde. Bei einem Ausfall der Belagerten kam es zu einem Kampf, bei dem Draganic getötet wurde. An der Stelle, wo der von der Bevölkerung geachtete Kroate starb, wurde ein Kreuz errichtet. Mitte des 18. Jahrhunderts ließ der kurtrierische General von Hohenfeld hier ein Heiligenhäuschen bauen. So weit aus der Festschrift.
Eine Verwechslung?
In der Horchheimer Kirmeszeitung des Jahres 1954 wurde schon einmal diese Geschichte unter dem Titel „Die Hungergasse und der Kroatenhauptmann“ veröffentlicht. Hier heißt es im letzten Satz:
„An der Stelle zwischen Horchheim und der Hungergasse, wo Draganic fiel, errichteten die Bauern damals ein Kreuz, an dessen Stelle ein Jahrhundert später ein Muttergotteshäuschen kam.“
Diesem Bericht nach handelt es sich hier um das Wendelinuskapellchen an der Weitenbornstraße Nr. 11. Einen weiteren Hinweis darauf, dass es sich um dieses Heiligenhäuschen handeln muss, erhalten wir in einem weiteren Beitrag in der Kirmeszeitung des Jahres 1971 aus der Feder des Koblenzer Stadtarchivars Dr. Hans Bellinghausen. Hierin beschreibt er die Stelle, an der Draganic starb, „als nicht weit von der Hungergasse“. Dies geschah im Jahre 1636 bei Horchheim, gegen Ende des Monats Oktober. An das Geschehen in der Hungergasse erinnert aber auch der Bildstock in der Koblenzer Straße in Niederlahnstein auf der Grenze zu dem Betriebsgelände der Firma C. S. Schmidt.
Zeichen alter Frömmigkeit
Sollte also die Entstehung des auf unserem Foto gezeigten Heiligenhäuschens nicht im Zusammenhang mit der Geschichte um den Kroaten stehen, so gehen doch seine Anfänge wohl in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurück, „hatten doch die Menschen in diesen Jahrzehnten in ihrer großen Not oft genug Anlass, Gott und seine Heiligen um Hilfe zu bitten. Aus Dank und zur Erinnerung entstanden viele Kreuze, Bildstöcke und die für unsere Gegend typischen Heiligenhäuschen. So ist es nicht zu verwundern, dass die alten Horchheimer von dem Heiligenhäuschen am Wege nach Pfaffendorf, umgeben von Weinbergen, schon immer zu erzählen wussten. Sie hatten es, wie auch die anderen in der Horchheimer Gemarkung, in ihrer tiefen Frömmigkeit über Jahrhunderte erhalten. Die von der Familie Kipp/Mock zur Verfügung gestellte Aufnahme aus den dreißiger Jahren soll uns Erinnerung aber auch Mahnung sein, die uns gebliebenen Zeugnisse früherer Zeiten ebenso zu bewahren.
Robert Stoll