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Ein Leben für die Regionalgeschichte

von Jopa Schmidt
Horchheimer Kirmes Magazin 2013

Manfred Gillissen (18.09.1942 – 18.12.2012) war von Herzen ein echter Neuendorfer Jung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Vater nach Gebhardshain in den Westerwald versetzt, mit der Einschulung von Manfred 1948 kehrte die Familie jedoch nach Neuendorf zurück und wohnte in der Handwerkerstraße 5, wo der Vater als Ortspolizist ein Dienstzimmer hatte. Mutter Änne war eine geborene Minning. Nach dem Abitur 1962 am Eichendorff-Gymnasium Koblenz begann er ein Pharmazie- und Medizinstudium an der Universität Mainz, das er aber nicht beendete. Vielmehr kümmerte er sich um den Hausbesitz innerhalb der Familie und fand Gefallen daran, Häuser zu kaufen, umzubauen und zu vermieten. Am 2. Mai 1969 heiratete er Ingrid Rademaker aus Niederlahnstein, beide wohnten zunächst in Neuendorf, bevor sie im Mai 1978 nach Niederlahnstein verzogen.

Schon früh entdeckte Manfred Gillissen seine Leidenschaft für die Regionalgeschichte, besonders aber für die Geschichte von Neuendorf und Koblenz, aber auch für die Genealogie. Kein Archiv in Koblenz bzw. in der näheren oder weiteren Umgebung war vor ihm sicher, wenn es um Material zu dieser Thematik ging. Immer wieder führte ihn der Weg in das Pfarrarchiv St. Peter Neuendorf, das Stadtarchiv, das Landeshauptarchiv, das Bistumsarchiv Trier, das Stadtarchiv Neuwied und, und, und.

Besonders interessierten ihn zunächst die alten Neuendorfer Familien Nell und Miltz, seine Forschungen gingen soweit, dass er unheimlich viel Material für ein Neuendorfer Familienbuch zusammengetragen hatte, das aber leider nie publiziert wurde.

Schon als Jugendlicher erforschte er alte Neuendorfer Gebäude: wann wurde das Haus gebaut? Wer hat darin gewohnt? Sein besonderes Interesse galt u. a. der wohl uralten Scheune des Bauern Welter (Ecke Weltersgasse/Hochstraße) bzw. dem alten Pfarrhausbau von 1710, der 1899/1900 wegen des Pfarrhausneubaues abgerissen worden war. Er suchte mit dem Neuendorfer Chronisten Willi Gabrich nach Fotos. Als 1958 eine Generalsanierung der Kirche seines Heimatortes beginnt, kann er den totalen Eingriff in die Bausubstanz des neobarocken Baues (1912-1915) nicht fassen. Er ist entsetzt, dass alte sakrale Gegenstände (Prozessionsfahnen bzw. -laternen, Skulpturenteile etc.) auf dem Bauschutt landen. In späteren Jahren hat es ihn immer wieder gereut, dass er diese Gegenstände nicht geborgen hatte. Besonders enttäuscht war er, als das riesige Gemälde an der Stirnwand hinter dem Hochaltar – Der sinkende Petrus auf dem Meer, gemalt von Professor Stucke aus Bonn – entfernt und unsachgemäß gelagert wurde. Er versuchte heimlich, es zu bergen und zu restaurieren. Leider erfuhr der damalige Pfarrer von diesem Vorhaben und ließ das Bild zurückholen. Es verkam auf dem Kirchenspeicher. Ebenfalls in seinen Jugendjahren barg er eine Madonna bzw. Pieta, die durch ein Hochwasser in Neuendorf angetrieben wurde.

Auch nach seinem Umzug nach Niederlahnstein ist Manfred Gillissen immer Neuendorfer geblieben. Im Lauf der Jahre sicherte er einige alte Flößertruhen und Neuendorfer Grenzsteine vor Verlust aus Unachtsamkeit und Zerstörung. Über Neuendorf schrieb er einige unveröffentlichte Abhandlungen über das Gemeindehaus, die Gemeindebäcker, Hebammen, Schafweide, Fischerei, die Schule, die Lehrer sowie Fahr und Fergen.

Er war ein wandelndes Geschichtslexikon. Fragte man ihn nach einem Haus oder einer Familie, sprudelte es nur so aus ihm heraus: nicht nur für Neuendorf, sondern auch für Koblenz und Horchheim. Außerdem verfügte er über ein umfassendes landesgeschichtliches Wissen, wobei ihn besonders die Rechtshistorie (Privatrecht, kurtrierisches Landrecht) interessierte. Phänomenal war sein Gedächtnis, insbesondere für Personen und verwandtschaftliche Zusammenhänge. Seine ihm angeborene Bescheidenheit war leider aber auch der Grund dafür, dass er kaum etwas publizierte.

Seine reiche Materialsammlung ist für Historiker von unschätzbarem Wert, leidet aber darunter, dass Manfred Gillissen eine kaum leserliche Handschrift hatte: Seine Exzerpte sind schwieriger zu lesen als die Originale, die er abschrieb. Eine Leidenschaft war sein Interesse für die Kunst – er besuchte Auktionen, um seine Kenntnisse über die großen Maler der Region aus dem 19. Jahrhundert zu vertiefen, so dass er sich auch hier zum intimen Kenner der rheinischen Kunstgeschichte entwickelte. Seine Hilfsbereitschaft war ohne Grenzen, sein Fleiß und seine Ausdauer enorm. Unvergessen bleiben sein feiner, hintergründiger, unaufdringlicher und manchmal schelmischer Humor, seine Freundlichkeit, seine Liebenswürdigkeit. Das Geheimnis seiner Ausgeglichenheit und Freundlichkeit war die Zufriedenheit – und die schöpfte er aus seiner Arbeit in den Archiven. Ihm ging es nicht darum, mit seinen Kenntnissen zu glänzen, ihm ging es nur darum, geschichtliche Rätsel mit Hilfe von Archivalien zu lösen. Wer ihn kannte, freute sich mit ihm an seiner stillen Freude. Und wie diebisch konnte er lachen, wenn es gelang, ein archivisches Rätsel zu lösen.

Meine persönlichen Erinnerungen an ihn gehen Jahrzehnte zurück. Es war schon in meiner Ausbildungszeit im damaligen Staatsarchiv / heutigen Landeshauptarchiv, als ich ihn kennenlernte und mich damals schon wunderte, dass ein junger Mann ohne eigentlichen Beruf seinen Neigungen nachgehen konnte, so oft er wollte. Dann war er jahrzehntelang Benutzer des Stadtarchivs, und ich erinnere mich gern an viele interessante Gespräche in meinem Büro bzw. im Benutzersaal. Ich sage es in aller Offenheit: auch ich als Leiter des Stadtarchivs konnte von Manfred noch viel lernen!

In jahrzehntelanger, mühevoller Forschungstätigkeit hat er eine umfangreiche Materialsammlung zusammengetragen, die die Geschichte der Koblenzer Profanbauten (Wohnhäuser, Adelssitze, Wirtschaftsgebäude etc.) zum Teil bis zurück in die Zeit des Hochmittelalters dokumentiert. Seine überarbeiteten Exzerpte aus Archivalien des Stadtarchivs bzw. des Landeshauptarchivs Koblenz sowie weiterer staatlicher und Familienarchive sind der Grundstock für eine vom Stadtarchiv begonnene Publikation im Internet, das „Koblenzer Häuserbuch“.

Manfred Gillissen hat damit einen reichen stadt- und baugeschichtlichen, aber auch genealogischen und sozialgeschichtlichen Fundus zur Verfügung gestellt, dessen Wert für die Koblenzer Lokalgeschichte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Mein Kollege Michael Koelges hat in mühevoller Kleinarbeit die Bearbeitung für das Internet übernommen. Erfasst wurden, teilweise sogar komplett, die Häuser der Straßen Altengraben, Am Plan, Auf der Danne, Entenpfuhl, Florinspfaffengasse, Görgenstraße, Kastorgasse, Kornpfortstraße, Löhrstraße und Unterm Stern. Leider konnte dieses wohl einmalige Projekt durch die schwere Erkrankung von Manfred Gillissen nicht zu Ende geführt werden.

Obwohl es ihm eigentlich immer schwer fiel, etwas zu veröffentlichen, konnte ich ihn für die Mitarbeit am Horchheimer Kirmes-Magazin gewinnen, in dem er seit 1991 seine Serie „Höfe des Adels und des Klerus in Horchheim in kurtrierischer Zeit“ veröffentlichte. Auch den Heimatfreunden Horchheim gegenüber zeigte er sich immer von seiner offenherzigen Seite. Er kannte sich wie kein Zweiter in der Horchheimer Ortsgeschichte aus – egal, ob es um Familien oder Häuser ging.

Es war schwer für ihn, seine Krankheit anzunehmen, nicht nur, weil sie ihm körperlich Einschränkungen und Schmerzen in hohem Maße auferlegte. Viel schwerer war es für ihn, seinen Archivrecherchen nicht mehr in dem gewohnten Umfang nachgehen zu können. Sicherlich war der Tod für Manfred Gillissen die von ihm wahrscheinlich schon lange erhoffte Erlösung. Sein Privatarchiv muss unbedingt erhalten bleiben, selbst wenn es leider nicht mehr möglich war, es für die moderne digitale Technik zu erschließen. Es gilt daher, das Andenken und das Erbe von Manfred Gillissen der Nachwelt zu erhalten. Horchheim hat einen Freund verloren.

Willi Gabrich aus Neuendorf und meinem Kollegen Michael Koelges bin ich für Informationen dankbar.

Jopa Schmidt

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