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von K.-H. Melters
Kirmes-Magazin 2009 Seite 50 – 53

Wie finden Sie Ihren Spitznamen „Mutti“, wurde die Bundeskanzlerin von Reportern gefragt. Merkel: „Es gibt Schlimmeres“! Ihr politischer Kollege und Konkurrent Außenminister Frank Walter Steinmeier trug einst den Ulknamen „Prickel“. Doch niemand in seiner lippischen Heimat Brakelsiek kann das Geheimnis lüften, wie der SPD-Politiker an seinen Nicknamen kam. Spitznamen oder Spottnamen entstehen manchmal aufgrund bestimmter Umstände, Ereignisse und deren Wahrnehmung durch die Mitbürger. Mädchen erhalten seltener Spitznamen als Jungen, und je beliebter ein Mensch ist, desto eher wird er mit einem Nicknamen bedacht. Auch die körperliche Auffälligkeit, wie das Aussehen oder eine Behinderung, kann zur Vergabe eines Spottnamens führen.

Die Spitznamen der Horchheimer haben ein langes Leben

„Schlamm-Ohlt“, „Amboß“ und „Schön-Schön“

So verbergen sich beispielsweise hinter Horchheimer Nicknamen wie Affe-Dunche, Zitter-Heinche, Kromm-Box, Locke-Lies, Geggisch-Gertrud, Rasputin, Bonsai-Wirt, Hering, Pötzje und Fösje Personen mit markanten äußerlichen Auffälligkeiten, die in Namen umgemünzt wurden. Spitznamen haben meist ein langes Leben und überleben ihren Träger über Generationen, wie die durch ihre berufliche Tätigkeit heute noch in Horchheim bekannten Namen: Milch-Grittche, Blech-Krämer, Amboß, Heilich-Lissje, Mitternachts-Bäcker, Seele-Käuferch, Dude-Vul, Schuster-Will, Schön-Schön, Maggi, Samen-Glatze, Bocke-Pitter, Leiterchens-Männche oder Schlamm-Ohl.

Kreativ und humorvoll präsentieren sich auch Horchheimer Bürger, wenn sie ihre Familiennamen mit ihrem Ruf- oder Spitznamen koppeln. Dabei gilt die eiserne Regel, dass immer der Familienname an erster Stelle steht, wie folgende Beispiele zeigen: Nolle Kätt, Riese Jul, Wagners Häns, Steins Nikeläs, Hoffmanns Soffieche, Bunne Dun, Dickops Marie, Krämers Dick, Schüllers Stomm, Stolle Rob, Bohrs Hein, Ludwigs Klem, Hoffmanns Robert, Jungs Has, Körbers Kätt, Gotthards Jupp, Dörrs Jettche, Holle Charly, Müller Jupp usw.

Brillanter FC-Abwehrgigant „Sensemann“

Spitznamen auf Zuruf waren in Horchheim beliebt, wenn in früheren Tagen die Fußballer ihre strammen Waden im Mendelssohn Park bewegten. Gelang es wieder einmal dem FC-Abwehr Recken Bunnes den gegnerischen Angriff auf eigene Art zu stoppen, so belohnte ihn die johlende Arena mit dem Kosenamen „Sensemann“. Neben diesem brillanten Horchheimer Abwehr-Giganten, der immer dafür sorgte, dass der eigene Strafraum vom Unkraut befreit blieb, mühten sich noch im Lauf der Jahre Spieler wie Leise, Stutz, Itze, Schips, Pepe, Liesje, Eisbär und viele andere um den Klassenerhalt.

Spitznamen gehören zum Fußball wie die Bratwurst in der Halbzeit. So wurden aus den einstigen Bundesligastars Rudi Völler die Tante Käthe, Ulf Kirsten der Schwatte und aus Uli Hoeneß der Weißwurst-Buddha.

Doch guckt man sich Bundestrainer-Jogis augenblickliche Mannschaft an, fällt sofort auf, nur wenige Spieler haben Spitznamen. Und die meisten sind auch nicht besonders attraktiv. Ob „Miro“, „Balle“ oder „Lutscher“ ‒ Helden klingen anders. Ein Blick in die WM-Geschichte zeigt, dass die deutschen Kicker früher erfolgversprechendere Beinamen hatten. 1954 schoss „Boss“ Rahn die Elf zum Titel. „Kaiser“ Franz Beckenbauer war bei den WM-Siegen 1974 und 1990 als Spieler und Trainer von Bedeutung. Und auch die Vize-Meisterschaft 2002 bewältigte der „Titan“ Olli Kahn fast im Alleingang. Kein Wunder also, dass die Marktforschungsagentur „Nambos“ deutsche Fußball Fans aufgerufen hat, neue Spitznamen für die Profi-Kicker zu vergeben. So wichtig scheinen demnach Ulknamen zu sein!

Atzele-Burg und Schneckebau

Auch bei Gebäuden wird mit Uznamen nicht gegeizt. So nennen die Berliner ihre Kongresshalle „Schwangere Auster“, die Siegessäule „Goldelse“ und das Kanzleramt „Waschmaschine“. Die Bayern tauften ihr neues Stadion im Norden Münchens einfach „Schlauchboot“, während im fernen australischen Sydney die 75 Jahre alte, tonnenschwere Harbour Bridge den Beinamen „Kleiderbügel“ erhielt.

Horchheim kann mit solchen Prachtbauten kaum mithalten. Wer aber in aller Welt hat schon eine Sutterburg, eine Atzeleburg, einen Schneckebau, ein Spitälche oder gar ein Heiligenhäuschen in der Vehgass?

Die neuen Spitznamen der Horchheimer

Poppelstopper und Achselterror

Schließlich stellt sich noch die Frage, weshalb es heute immer weniger neue Spitznamen oder witzige Sprachschöpfungen gibt. Geht der Jugend die Fantasie flöten oder verstehen die Alten die Jungen nicht mehr? Jugendliche haben sich immer schon durch einen eigenen Wortschatz von der älteren Generation abgegrenzt. Während in den 1970er Jahren alles „knorke“ in den 1990ern alles „mega“ ‚war, ist heute alles und jeder „krass, geil und hammer“. Mit dieser Form der Sprache wollen sich Jugendliche von den „uncoolen“ Eltern und Großeltern distanzieren, was ihnen auch relativ leicht gelingt.

Sprachwissenschaftler vergeben der neuen Jugendsprache das Prädikat „kreativ und humorvoll.“ Nur das Umgewöhnen wird den meisten Alten schwerfallen. Da kann nur eisernes Umdenken helfen. Ob sich alte Horchheimer wie Bunnes, Homb und Schlemmer-Hein damit abgefunden hätten, früher zur „Gammelfleischparty“ (Ü-30Treffen) anstatt zum Frühschoppen zu gehen?

Auch der Dank für Vereinstreue in Form eines schönen „Heuchlerbesens“ (Blumenstrauß) erfordert viel Verständnis. Toleranz ist auch gefragt, wenn ein gehbehinderter Horchheimer mit seinem „Pflaster-Porsche“ (Rollator) ein „Straßendeko“ (überfahrenes Tier) einfach liegen lässt. Noch härter wird es, wenn ein Kirmesbursche mit „Pils-Spoiler“ (Bierbauch) und „Popelstopper“ (Schnurrbart) auf dem Festplatz seine „Lunge bräunt“ (raucht). Da kann es einem schon mal „Achselterror“ (Schweiß) unter die Arme treiben, der nur mit „Achselmoped“ (Deo) geruchsneutral beseitigt werden kann.

Für die „Gammelfleisch-Generation“, also alle über 30jährigen Horchheimer, heißt es nun Vokabeln pauken. Dann entstehen vielleicht auch wieder neue Spitznamen im Ort, und viele verzweifelte Mitbürger müssen nicht mehr mit „einer Bretzel im Gesicht“ (betrunken) herumlaufen. Sollte gar keine Hoffnung mehr bestehen, dann hilft nur noch der Weg zur Apotheke, wo man kostenlos die „Rentner-Bravo“ (Apotheken-Umschau) mit vielen Rezepten gegen Unwohlsein erhält.

Kuddel


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