26. April 2025 | Am letzten Samstag im April unternahmen die Heimatfreunde Horchheim einen spannenden Ausflug in die Koblenzer Altstadt, um das Stadtarchiv Koblenz zu erkunden. Bei strahlendem Sonnenschein trafen sich 20 Mitglieder der Heimatfreunde vor der Alten Burg an der Balduinbrücke auf der Koblenzer Moselseite.
Der Leiter des Archivs, Herr Koelges, begrüßte die Gruppe herzlich und gab einen Überblick über die historische Stätte, in der die Geschichte von Koblenz und Umgebung in alten Urkunden und Schriften lebendig wird. Ein Nachmittag voller aufschlussreicher Einblicke und wertvoller Informationen erwartete die Teilnehmer.
Die Alte Burg
Die Alte Burg in Koblenz, die heute das Stadtarchiv beherbergt, blickt auf eine lange und spannende Geschichte zurück. Ursprünglich wurde sie seit dem 13. Jahrhundert als kurfürstliche Burg errichtet, indem der Wohnturm des Stadtadelsgeschlechts von der Arken integriert wurde. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr die Burg zahlreiche Um- und Anbauten, die die verschiedenen Epochen von der Spätgotik über die Renaissance bis zum Barock widerspiegeln.
Im 14. Jahrhundert diente die Burg den Trierer Erzbischöfen als Zwingburg, um die Stadt und ihre Bürger unter Kontrolle zu halten. Später spielte sie eine Rolle bei der Befestigung der Stadt Koblenz, unter anderem im Zusammenhang mit der Balduinbrücke. Im Laufe der Zeit verlor die Burg ihre militärische Bedeutung und wurde seit dem 19. Jahrhundert vielfältig genutzt, unter anderem als Fabrikgebäude und Sitz öffentlicher Einrichtungen.
Heute ist die Alte Burg nicht nur ein historisches Wahrzeichen von Koblenz, sondern auch ein bedeutendes Kulturdenkmal, das seit 1980 das Stadtarchiv beherbergt.
Nach der kurzen Einführung in die Geschichte der Alten Burg führte uns Herr Koelges ins Innere des Gebäudes, wo wir im ersten Stock im Lesesaal des Stadtarchivs Platz nahmen, um mit dem eigentlichen Vortrag zu beginnen.
Theorie der Archivarbeit
Was ist eigentlich ein Archiv?
Im ersten Teil seines Vortrags beleuchtete Herr Koelges die Grundfrage: „Was ist eigentlich ein Archiv?“ Dabei ging es nicht nur um die fachliche Definition, sondern auch um die Bilder und Vorurteile, die viele mit dem Begriff verbinden. Archive gelten oft als verstaubt, dunkel und abgelegen – Orte, an denen nichts mehr passiert. Mit einem Augenzwinkern berichtete Koelges von einem Kollegen, der das Archiv einst als „Endstation für Versager“ bezeichnete. Doch schnell wurde klar: Diese Vorstellung verkennt völlig, wie wichtig und verantwortungsvoll die Arbeit in einem Archiv ist. Fehler dort können gravierende Folgen haben – sie zeigen sich nur oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten.
Die Ursprünge des Archivwesens
Der Vortrag schlug dann den Bogen vom Privaten zum Institutionellen. Denn tatsächlich führen viele Menschen eine Art Archiv zu Hause: Fotoalben, Urkunden, Verträge oder Erinnerungsstücke. Was auf den ersten Blick banal wirkt, ist im Kern genau das, worum es auch in Archiven geht – nämlich um das strukturierte Aufbewahren von Informationen mit bleibendem Wert. Sei es zur persönlichen Erinnerung oder, viel entscheidender, als Nachweis in rechtlichen Angelegenheiten. Und genau darin liegt der Ursprung des Archivwesens: In früheren Jahrhunderten ging es vorrangig um die dauerhafte Sicherung von Dokumenten, die Rechte belegten – etwa über Besitz, Abgaben oder Herrschaft. Adelige, Städte, Klöster und nicht zuletzt kirchliche Würdenträger wie der Kurfürst-Erzbischof von Trier legten Archive an, um ihre Ansprüche zu sichern. Aus diesen frühen Strukturen entwickelten sich die modernen Archive, wie wir sie heute kennen.
Der Wandel im 19. Jahrhundert: Vom Rechtsnachweis zur Erinnerungskultur
Im 19. Jahrhundert jedoch änderte sich dieser Blickwinkel. Unter dem Einfluss der Geschichtswissenschaften und der Romantik erkannte man zunehmend, dass diese Dokumente auch viel über das gesellschaftliche Leben früherer Zeiten verraten: über politische Machtverhältnisse, Alltagsleben, wirtschaftliche Strukturen oder soziale Beziehungen. So trat zur rechtlichen Funktion ein zweiter, historischer Aspekt hinzu: Archive wurden zu Orten des Erinnerns und Forschens. Herr Koelges machte deutlich, dass ein kommunales Archiv wie das der Stadt Koblenz heute beiden Funktionen gerecht werden muss. Rechtlich vorgeschriebene Unterlagen wie Haushaltspläne oder Stadtratsprotokolle müssen dauerhaft gesichert werden – „für alle Ewigkeit“, auch wenn das realistisch gesehen nie vollständig erreichbar ist. Doch der weitaus größere Teil der öffentlichen Nutzung betrifft heute den historischen Bereich: Forscherinnen, Heimatvereine, Studierende oder Interessierte suchen in Archiven nach Spuren der Vergangenheit. Nach Einschätzung von Herrn Koelges liegt der Anteil der rechtlichen Nutzung bei etwa zehn Prozent, während rund neunzig Prozent auf das historische Interesse entfallen.
Die Archivlandschaft in Koblenz: Stadt, Land und Bund
Anschließend gab Herr Koelges einen Überblick über die Archivlandschaft in Koblenz. Neben dem Stadtarchiv gibt es das Landeshauptarchiv, das für die Landesbehörden im Norden von Rheinland-Pfalz und für die Ministerien in Mainz zuständig ist. Das hat historische Gründe: Nach der Gründung des Landes Rheinland-Pfalz 1947 war Koblenz für einige Jahre provisorische Landeshauptstadt, bevor die Landesregierung nach Mainz umzog. Das in Koblenz ansässige frühere preußische Staatsarchiv blieb jedoch bestehen und wurde zum Landeshauptarchiv. Auch das Bundesarchiv mit seiner Zentrale auf der Karthause ist in Koblenz angesiedelt und zuständig für die Unterlagen der obersten und sonstiger Bundesbehörden sowie ihrer Vorgängerinstitutionen.
Archive, Bibliotheken, Museen – drei Säulen der kulturellen Überlieferung
Zum Schluss verdeutlichte Herr Koelges den grundlegenden Unterschied zwischen Archiven, Bibliotheken und Museen. Während Bibliotheken gedruckte Werke in großer Zahl sammeln – also Massenware –, verwahren Archive Unikate: originale Dokumente, die es nur einmal gibt. Museen wiederum konzentrieren sich auf dreidimensionale Objekte. Jede dieser Einrichtungen erfüllt dabei eine spezifische Aufgabe in der Bewahrung und Vermittlung von Kultur und Geschichte.
Im Lesesaal des Stadtarchivs bleibt der Blick der Teilnehmenden an einem eindrucksvollen Gerät hängen – dem Mikrofilm-Lesegerät, das mit seiner sperrigen Technik und nostalgischen Ausstrahlung an die Zeit der Mondlandungen erinnert und zugleich ein Stück Archivgeschichte verkörpert.
Digitalisate und Mikrofilm
In der Debatte um Digitalisate und Mikrofilm steht die langfristige Lesbarkeit und Authentizität von Archivgut im Mittelpunkt. Während Digitalisate eine einfache Verbreitung ermöglichen, können sie das physische Original nicht ersetzen: Nur das Original bewahrt Materialität, Echtheit und Zustandsschäden, die für Forschung und Konservierung wichtig sind. Zudem altern digitale Formate und Speichermedien rasch, sodass Archive kontinuierlich in Migration und Formatpflege investieren müssen. Der Mikrofilm dagegen gilt als besonders beständiges analoges Medium: Unter geeigneten Bedingungen bleibt er chemisch stabil und lesbar, und zum Ablesen genügen eine einfache Lichtquelle und eine Lupe. Auch wenn die Mikrofilm-Industrie zurückgeht und entsprechende Lesegeräte seltener werden, bleibt der Mikrofilm aufgrund seiner Langlebigkeit und einfachen Handhabung ein verlässliches Sicherungsformat.
Die elektronische Akte
Die Einführung der elektronischen Akte in Kommunalverwaltungen soll die Ablage und Wiederauffindbarkeit von Dokumenten deutlich verbessern. Anstelle handschriftlicher Ablagepläne werden Dateien digital erfasst, indexiert und mittels klarer Ordnungsstrukturen verwaltet. Dies verspricht Zeitersparnis, weil Rechercheprozesse entfallen, und minimiert Ausfallrisiken, wenn Zuständige nicht verfügbar sind. Gleichzeitig steht die Stadtverwaltung vor großen Herausforderungen: Ein vollständiger „Roll out“ mit hunderten Mitarbeitenden kann schätzungsweise 10–15 Jahre dauern, da neben technischer Infrastruktur auch Schulungen und Anpassungen rechtlicher Vorgaben notwendig sind. Das Archiv spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem es seine Expertise in Ordnungs- und Erschließungssystemen einbringt und so sicherstellt, dass die E-Akte von Anfang an revisions- und aufbewahrungskonform aufgebaut wird.
Nachdem wir diesen Überblick bekommen hatten, ging es weiter in den Magazinbereich des Archivs, wo uns gezeigt wurde, wie die Archivalien gelagert werden. Dabei erklärte Herr Koelges, wie das Gebäude in Bezug auf seine Eignung als Archiv genutzt wird – ein Aspekt, den wir besonders spannend fanden.
Lagerung im Magazinbereich
Im Magazinbereich
Im Zentrum des Archivs liegt der Magazinbereich, in dem alle wertvollen Unterlagen sicher verwahrt werden. Statt starrer Regale auf engem Raum nutzt man hier ein fahrbares Kompaktregalsystem: Nur ein Gang muss freigezogen werden, um an jede Akte zu gelangen. Gleichzeitig bieten die dicht aneinandergereihten Module Schutz vor Diebstahl, Staub und schädlichem Lichteinfall.
Gleichzeitig entscheidet in einem Magazin das richtige Raumklima über die Haltbarkeit alter Papiere. Eine konstante Temperatur von rund 18 °C und eine relative Luftfeuchtigkeit von 50 bis 55 % verhindern Austrocknen, Schädlingsbefall oder Schimmelbildung – Faktoren, die auf lange Sicht sonst Dokumente beschädigen würden.
Weil die Alte Burg an ihre Kapazitätsgrenzen stößt, steht ein Umzug ins Kulturforum am Zentralplatz an. Dort entsteht ein vollständig fensterloser, klimatechnisch optimierter Magazinraum mit moderner Lufttechnik und einer schonenden Löschanlage für den Brandschutz.
Diese Verlagerung schafft nicht nur dringend benötigten Platz für die wachsenden Bestände – ein Archiv wächst mit jedem neuen Zugang –, sondern stellt auch sicher, dass Koblenzer Geschichte unter besten Bedingungen für kommende Generationen erhalten bleibt.
Der Überlieferungswert von Schriftgut bestimmt, welche Unterlagen dauerhaft ins Archiv übernommen werden. Nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Aufbewahrungsfristen muss jede Behörde ihr altes Verwaltungsmaterial dem Archiv anbieten. Dort bewerten Fachleute, welche Dokumente wegen ihrer historischen oder juristischen Bedeutung archivwürdig sind. Meist fließen Faktoren wie der Nachweis von Rechtsansprüchen oder die Aussagekraft für zukünftige Forschungsfragen in die Entscheidung ein.
In der Praxis landen nur etwa zehn bis zwanzig Prozent des angebotenen Schriftguts im Magazin – eine konsequente Auswahl, die das Archiv dauerhaft handhabbar hält. Manchmal geben Behördenmitarbeiter auf Aktendeckeln einen ersten „Bewertungsvorschlag“ ab, zum Beispiel Richter oder Staatsanwälte, doch die abschließende Kompetenz, zu entscheiden, liegt immer bei den Archivaren. Um sicherzustellen, dass keine wichtigen Informationen verloren gehen, arbeiten sie eng mit den Verwaltungskollegen zusammen und klären im Einzelfall, welche Unterlagen langfristig erhalten bleiben müssen.
Nach einer kurzen Pause kehrten wir zurück in den Lesesaal, um im letzten Teil des Vortrags einige ausgewählte Archivalien näher zu betrachten. Herr Koelges präsentierte der Gruppe eine originale mittelalterliche Königsurkunde aus dem Bestand des Stadtarchivs – ein seltenes Unikat, das eindrucksvoll die rechtshistorische Bedeutung solcher Quellen veranschaulichte und den Übergang zur inhaltlichen Erläuterung bildete.
Beispiel einer original mittelalterlichen Urkunde mit königlichem Siegel aus dem Bestand des Stadtarchivs
Eine spätmittelalterliche Urkunde
Spätmittelalterliche Urkunden zählen zu den bedeutendsten Quellen der historischen Forschung, da sie offiziell von Königen oder ranghohen Herrschern ausgestellt wurden und rechtliche, politische oder wirtschaftliche Vereinbarungen dokumentieren. Sie belegen unter anderem Privilegien, Stadtrechte und Hoheitsrechte und dienen als unmittelbarer Nachweis mittelalterlicher Rechtsverhältnisse.
Im Stadtarchiv Koblenz werden drei bis vier solcher Königsurkunden aufbewahrt. Jede Urkunde ist ein einzigartiges Unikat, das nicht nur für die lokale Stadtgeschichte, sondern auch für die Strukturen des Heiligen Römischen Reiches essentielle Informationen liefert. Im Vergleich zu größeren Archiven in Köln, Frankfurt oder München fällt der Bestand in Koblenz zahlenmäßig geringer aus, bleibt aber aufgrund seiner Seltenheit und inhaltlichen Bedeutung von hohem Wert.
An der Unterkante der Urkunde von 1302 befindet sich das königliche Siegel, das den Herrscher mit Krone, Reichsapfel und Zepter darstellt. Die lateinische Umschrift „Rex Semper Augustus Albrecht I“ weist ihn eindeutig als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches aus. Dieses Siegel verlieh dem Dokument offizielle Gültigkeit und vermittelte auch Analphabeten den Rang des Ausstellers.
Dem Original ist eine Transkription (Abschrift) des Urkundentextes beigegeben. Dabei handelt es sich nicht um eine Übersetzung ins Deutsche, sondern um eine Übertragung in die Schrift des 17. Jahrhunderts, wahrscheinlich um die schwer lesbare gotische Urkundenschrift von 1302 für damalige Juristen nutzbar zu machen. Diese Abschrift fungiert seither als „Gebrauchsanweisung“ sowie Sicherungs- und Arbeitskopie neben dem Original und gewährleistet die dauerhafte Lesbarkeit des Dokuments.
Pergament ist ein historischer Beschreibstoff, der aus sorgfältig bearbeiteter Tierhaut – meist von Ziegen oder Rindern – gewonnen wird. Die Haut wird zunächst entfettet, enthaart und unter Spannung getrocknet und anschließend geglättet, bis eine dünne, aber widerstandsfähige Schreibfläche entsteht. Anders als Leder, das durch Gerbung haltbar gemacht wird, bleibt Pergament durch diese aufwendige Behandlung besonders flach, fest und chemisch stabil.
Ein Sprichwort wie „Das geht auf keine Kuhhaut“ verweist darauf, dass lange Texte schlicht keinen Platz auf der Fläche des Pergaments hatten, das aus Sparsamkeitsgründen möglichst klein gehalten wurde – Pergament war teuer.
Die besondere chemische Beständigkeit von Pergament macht es zum bevorzugten Material für mittelalterliche Urkunden und wichtige Dokumente: Licht, Luft und Feuchtigkeit greifen es nur langsam an. So sind Urkunden aus dem Jahr 1302 auch heute noch klar lesbar, wenn sie fachgerecht konserviert wurden.
Von Hadern zu Papier
Papier war im Vergleich zu Pergament deutlich günstiger und setzte sich daher ab dem Spätmittelalter immer stärker durch. Doch das Papier jener Zeit hatte mit dem modernen nichts gemein: Es war eine echte Kostbarkeit – hergestellt aus alten Textilien, den sogenannten Hadern. Aus diesem Begriff leitet sich das Schimpfwort Haderlump ab, ursprünglich jemand, der mit Lumpen zu tun hatte. Solche Lumpensammler zogen durchs Land, sammelten ausgediente Kleidung und verkauften sie an Papiermühlen.
Der Papierbrei aus diesen Stoffresten wurde mit einem Sieb geschöpft, gepresst und getrocknet – so entstand das haltbare Hadernpapier, oft auch Büttenpapier genannt. Wenn man es gegen das Licht hält, sieht man eine feine Gitterstruktur – ein Relikt der aufwendigen Handarbeit.
Im 19. Jahrhundert revolutionierte das deutlich billigere Zellulose-Holzschliffpapier die Papierherstellung. Es bestand nicht mehr aus Textilien, sondern aus Holzfasern – allerdings auf Kosten der Haltbarkeit. Viele dieser säurehaltigen Papiere zerfallen heute regelrecht, ein Problem, das auch bei den sogenannten „Umweltschutzpapieren“ der 1980er Jahre auftrat. Bereits in den 1990er Jahren rieten Behörden davon ab, solche Papiere für archivwürdige Dokumente zu verwenden.
Eisengallustinte und der Tintenfraß
Im Gegensatz zu modernen Tinten war die historische Schreibflüssigkeit oft extrem „sauer“. Die sogenannte Eisengallustinte bestand aus einer Mischung aus Eisen, Ruß und Galläpfeln – kleinen, erbsenförmigen Wucherungen auf Eichenblättern, die durch die Eiablage einer Gallwespe entstehen. Die daraus gewonnene Gerbsäure reagierte mit Eisen zu einer tiefschwarzen, sehr haltbaren Tinte – ein Naturprodukt mit erstaunlicher Wirkungsgeschichte.
Doch die Haltbarkeit hatte ihren Preis: Die Tinte griff das Papier chemisch an. Tintenfraß nennt man dieses Phänomen, bei dem die Schrift das Papier regelrecht durchlöchert. In vielen Fällen ist der Text nur noch als Umriss erkennbar – manchmal besser lesbar, wenn man das Blatt gegen das Licht hält.
Tintenfraß ist ein typisches Schadbild in historischen Archiven. Auch im Stadtarchiv Koblenz finden sich betroffene Dokumente, deren Erhalt durch restauratorische Maßnahmen gesichert werden muss.
Im Gegensatz zur Urkunde, die meist nur ein Ergebnis festhält, ist eine Akte eine Sammlung verschiedener Schriftstücke. Sie dokumentiert den gesamten Entscheidungsprozess – von der ersten Anfrage über Rechnungen bis zum abschließenden Schreiben. Akten können sich über Jahre erstrecken und zeigen detailliert, wie eine Entscheidung zustande kam.
Ein interessantes Beispiel liefert eine Akte zu den Bauarbeiten am Ochsenturm, einem Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung von Koblenz. Dieser stand dort, wo heute die Mosel-Eisenbahnbrücke verläuft. Der Turm gehörte zur zweiten Stadtmauer, die ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet wurde.
Kurios: Für den Unterhalt dieses Koblenzer Turms war nicht Koblenz, sondern die Stadt Duisburg zuständig. Der Grund: Im hohen Mittelalter schlossen Städte Schutzbündnisse. Um Kosten zu teilen, übernahm jede Stadt einen Teil der Befestigung einer anderen – und erhielt dafür Gegenvorteile wie Zollfreiheit für ihre Kaufleute.
So kam es, dass Koblenzer Handwerker jährlich nach Duisburg reisen mussten, um dort einen „Koblenzer Turm“ zu warten. In Koblenz dagegen nannte man ihn Ochsenturm. Solche historischen Verflechtungen lassen sich heute nur noch durch Akten rekonstruieren – und machen diese zu unschätzbaren Quellen.
Beispiel eines Kerbholzes
Das Kerbholz als mittelalterlicher Schuldschein
„Der hat was auf dem Kerbholz“ – dieser Spruch ist bis heute bekannt, doch kaum jemand weiß noch, woher er stammt. Im Mittelalter war das Kerbholz ein gängiges Mittel zur Schulderfassung, etwa bei Bauvorhaben oder Lieferungen.
Das Prinzip war einfach: Für jede erbrachte Leistung – etwa eine Fuhre Sand zum Bau des Ochsenturms – wurde eine Kerbe in ein Holzstück geritzt. Beide Parteien, z. B. der Stadtbaumeister und der Fuhrmann, hatten je ein passendes Exemplar. Die Kerben mussten bei späterem Abgleich exakt übereinstimmen – so ließ sich Betrug ausschließen.
Waren alle Leistungen erbracht, wurden die Hölzer meist verbrannt – das Schuldverhältnis war damit „ausgelöscht“. Nur selten blieben Kerbhölzer erhalten. In Ausnahmefällen, etwa bei Streitigkeiten, wurden sie vom Stadtbaumeister archiviert – ein Hinweis darauf, dass nicht alles reibungslos verlaufen war.
Heute gelten Kerbhölzer als seltene Funde, meist aus feuchten Boden- oder Latrinenschichten. Doch sie sind eindrucksvolle Zeugnisse eines alltagstauglichen, rechtssicheren Systems – und zeigen, wie pragmatisch man früher mit Schulden umging.
Im Folgenden präsentierte uns Herr Koelges eine Reproduktion eines historischen Stadtplans von Koblenz, der uns einen tieferen Einblick in die städtebauliche Entwicklung der Region ermöglichte.
Karten gehören zu den spannendsten Quellen in Archiven. Sie verbinden Bild und Text und liefern wertvolle Informationen über die städtebauliche und geografische Entwicklung. Besonders im Zusammenspiel mit alten Fotos lassen sich Veränderungen von Straßenverläufen, Gebäuden und Stadtgrenzen nachvollziehen – anschaulicher als mit jeder Akte.
Michael Koelges erläutert den Dilbecker-Plan von 1794
Dilbecker-Plan vom 23. Oktober 1794
Ein herausragendes Beispiel ist der sogenannte Dilbecker-Plan vom 23. Oktober 1794 – dem Tag, an dem französische Revolutionstruppen unter General Marceau in Koblenz einzogen. Der Geometer Johann Peter Dilbecker hielt in seinem Plan die Stadt topografisch exakt fest. Damit ist er nicht nur ein historisches Dokument, sondern ein Schlüsselinstrument zur Verknüpfung von Stadtgeschichte und Stadtbild. Der Vergleich solcher Karten über Jahrhunderte hinweg erlaubt tiefe Einblicke in die Entwicklung Koblenz’ – und eröffnet zugleich neue Perspektiven auf bekannte Orte.
Koblenz im Jahr 1632, Merians Kupferstich mit markiertem Ochsenturm, Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung
Koblenz im Jahr 1632 in der Ansicht von Merian
Diese eindrucksvolle Darstellung von Matthäus Merian, einem der bedeutendsten Kupferstecher des 17. Jahrhunderts, zeigt Koblenz während des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1632, als schwedische Truppen die Stadt angriffen. Der Ochsenturm, Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung, ist dabei gut erkennbar und markiert ein zentrales Element des Stadtbildes.
Die Ansicht vermittelt nicht nur ein Bild der kriegerischen Auseinandersetzung, sondern auch der topografischen Struktur der Region: Der Verlauf von Rhein und Mosel, die Insel Oberwerth sowie die Stadtteile Pfaffendorf und Horchheim sind deutlich auszumachen. Besonders Horchheim ist hier klar platziert – ein Hinweis auf die frühe Bedeutung dieses Ortsteils im geographischen Zusammenhang.
Merians Kupferstich verbindet historische Dokumentation mit kartographischer Genauigkeit – eine seltene Kombination, die sowohl für die Kriegs- als auch für die Stadtgeschichte von unschätzbarem Wert ist.
Koblenz blickt auf eine lange Geschichte städtischer Entwicklung und Befestigung zurück. Der Ursprung der Stadt liegt in einem römischen Kastell, das im 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. errichtet wurde – in einer Zeit, als das Gebiet am Zusammenfluss von Rhein und Mosel strategisch an Bedeutung gewann. Das Kastell befand sich auf hochwasserfreiem Gelände in der heutigen Nordostecke der Altstadt, im Bereich der Balduinbrücke, Kornpfortstraße und Braugasse.
Neuere archäologische Forschungen zeigen, dass sich vor der östlichen und südlichen Kastellmauer nicht nur römische Soldaten, sondern auch Zivilisten wie Händler, Bauern und Fischer niederließen – unter anderem Angehörige des keltischen Stammes der Treverer. Sie versorgten die Garnison mit Lebensmitteln und Alltagsgütern und prägten damit das frühe städtische Leben.
Im Mittelalter entwickelte sich Koblenz weiter zur befestigten Stadt. Eine Stadtmauer umgab den gewachsenen Siedlungskern, sichtbar etwa am markanten Ochsenturm. Diese Mauern dienten dem Schutz vor Feinden, waren aber zugleich Ausdruck städtischer Macht und Unabhängigkeit.
Nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs wurde im 17. Jahrhundert eine barocke Stadtbefestigung errichtet. Moderne Schanzen ergänzten die mittelalterlichen Mauern und sollten die Verteidigungsfähigkeit erhöhen. Doch bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts wurde diese Befestigung wieder aufgegeben, als Kurfürst Clemens Wenzeslaus sein Residenzschloss errichten ließ und damit den Grundstein für eine städtebauliche Neuordnung legte.
Mit der Entstehung der Koblenzer Neustadt verschwanden einige barocke Befestigungsanlagen. Straßennamen wie „Neustadt“ erinnern noch heute an diese Zeit des Umbruchs, in der Koblenz den Wandel von der befestigten Stadt zur offenen barocken Residenz vollzog.
Hans Josef Schmidt, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs und Michael Koelges, Leiter des Stadtarchivs Koblenz
Im alten Koblenz spielte der Weinbau eine bedeutende Rolle – sowohl für die Bevölkerung als auch für die Klöster und Nonnen. Ein besonders gutes Beispiel dafür sind die Weißer Nonnen in der Weißer Gasse, die aus einem mittelalterlichen Beginenkonvent hervorgingen. Diese Nonnen betrieben hier kräftig Weinbau, was sie zu einer wichtigen Instanz im wirtschaftlichen Leben Koblenz‘ machte. Ebenso engagierten sich die Dominikaner auf der rechten Seite der Gasse im Weinbau, ihr Kloster wurde im Krieg zerstört.
Die Weißer Nonnen waren bei den Koblenzer Wirten nicht sonderlich beliebt. Sie genossen nämlich ein Privileg, das ihnen ermöglichte, keine Abgaben auf den Wein zu zahlen, den sie erzeugten. Während die Wirte daher Abgaben leisten mussten, konnten die Nonnen ihren Wein günstiger verkaufen. Das führte dazu, dass viele Koblenzer lieber zu den Nonnen gingen, um dort ihren Wein zu kaufen.
In dieser Zeit waren Grünflächen, Gärten und Weinberge in Koblenz weit verbreitet. Besonders im Falle einer Belagerung oder Kriegszeiten waren diese Flächen von großer Bedeutung, da sie den Menschen ermöglichten, sich weiterhin zu ernähren. Es war nicht nur eine praktische Notwendigkeit, sondern auch ein wertvolles Zubrot in Friedenszeiten. Das Anpflanzen von Gemüse oder das Halten von Ziegen hinter den Häusern war für viele Koblenzer von großer Bedeutung.
Im 18. Jahrhundert war die Situation jedoch nicht für alle Handwerker rosig. Besonders die Schuhmacher litten unter einer Überbevölkerung in ihrer Zunft. Bei einer Bevölkerung von etwa 4.000 bis 5.000 Menschen in Koblenz gab es nahezu 100 Schuhmacher, was eine enorme Konkurrenz für die wenigen verfügbaren Aufträge bedeutete. Die Schuster zählten zu den ärmsten Berufsgruppen in der Stadt, während die Metzger und Bäcker aufgrund ihrer Arbeit mit Nahrungsmitteln bessergestellt waren. Der Wohlstand und das tägliche Leben in Koblenz waren somit stark von den wirtschaftlichen Verhältnissen und den sozialen Unterschieden geprägt.
Skelettfunde vom alten Friedhof in Koblenz
Anfang der 1980er Jahre, beim Erdaushub für das heutige Löhr-Center, stieß man auf zahlreiche Skelettfunde in dem Bereich zwischen der Herz-Jesu-Kirche und dem Citybahnhof. Schnell machten wilde Gerüchte die Runde, bis sich schließlich auch die Kriminalpolizei einschaltete und beim Stadtarchiv nachfragte.
Mithilfe alter Karten konnte eindeutig geklärt werden, dass die Skelette von einem historischen Friedhof stammten, der dort seit 1777 existierte. Dieser Friedhof ist im frühen 19. Jahrhundert durch einen neuen ersetzt worden: den heutigen Hauptfriedhof am Abhang der Karthause, am Beatusberg.
Der Umzug auf diesen neuen Friedhof erfolgte auf Anordnung der preußischen Verwaltung. Er war bemerkenswert, weil er als einer der ersten gemischtkonfessionellen Friedhöfe der Region eingerichtet wurde – eine Neuerung, die bei der katholischen Kirche zunächst auf erheblichen Widerstand stieß.
Diese Episode zeigt anschaulich, wie wertvoll historische Karten und Archivunterlagen für die Klärung von Fragen der Stadtgeschichte – und gelegentlich auch bei Kriminalfällen – sein können.
Für die historische Forschung zu Horchheim ist die Überlieferungslage etwas speziell: Seit 1937 gehört Horchheim offiziell zu Koblenz. Für die Zeit von 1815 bis 1937 ist das Stadtarchiv Koblenz ebenfalls zuständig, da die Bestände der ehemaligen Bürgermeisterei Ehrenbreitstein (zu der Horchheim gehörte) vom Landeshauptarchiv Koblenz an das Stadtarchiv abgegeben wurden.
Für die Zeit vor 1815 (also aus kurtrierischer und nassauischer Zeit) muss man im Landeshauptarchiv Koblenz recherchieren. Dort befinden sich Unterlagen der damals zuständigen Ämter und Behörden.
Dank an den Referenten
Zum Abschluss des sehr informativen und abwechslungsreichen Vortrags bedankte sich der Vorsitzende der Heimatfreunde Horchheim, Andreas Weber, im Namen aller Anwesenden herzlich bei Herrn Koelges. Als kleines Zeichen der Anerkennung überreichte er zwei Flaschen Wein – leider nicht mehr der „Hoschemer Rude“ aus dem Jahrgang 1920, wie scherzhaft bemerkt wurde, aber dennoch eine besondere Aufmerksamkeit. Der Referent freute sich sichtlich über das Präsent und in lockerer Runde klang der gelungene Nachmittag aus.
Heimatfreunde Horchheim Vorsitzender Andreas Weber bedankt sich beim Referenten Michael Koelges
Ausklang im historischen Weinhaus
Nach dem Vortrag begaben sich die Heimatfreunde in das traditionsreiche „Weinhaus Hubertus“, erbaut im Jahr 1689, wo der Abend in gemütlicher Atmosphäre seinen Ausklang fand. Das Weinhaus-Team sorgte mit herzlicher Gastfreundschaft dafür, dass sich alle rundum wohlfühlten. In der geschichtsträchtigen Umgebung schmeckten die frisch zubereiteten Speisen besonders gut – begleitet von regionalen Weinen aus der Umgebung von Rhein und Mosel sowie einem Glas Trester.
Ausklang im Weinhaus Hubertus
In bester Gesellschaft ließen die Heimatfreunde die zahlreichen Eindrücke Revue passieren, bevor sie sich, bereichert durch neue Erkenntnisse und anregende Gespräche, wieder auf den Heimweg nach Horchheim machten.
Das Stadtarchiv Koblenz ist das historische Gedächtnis der Stadt und bewahrt schriftliche Zeugnisse aus Verwaltung, Politik und Gesellschaft. Es stellt diese Quellen der Öffentlichkeit zur Verfügung und unterstützt die historische Forschung, Bildungsarbeit und Gedenkkultur.
Hinweis zur Webpräsenz des Landeshauptarchivs Koblenz
Das Landeshauptarchiv Koblenz ist das zentrale Archiv für die Ministerien des Landes Rheinland-Pfalz und zugleich das Regionalarchiv für den Norden des Bundeslandes.
Manfred Gillissen (18.09.1942 – 18.12.2012) war von Herzen ein echter Neuendorfer Jung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Vater nach Gebhardshain in den Westerwald versetzt, mit der Einschulung von Manfred 1948 kehrte die Familie jedoch nach Neuendorf zurück und wohnte in der Handwerkerstraße 5, wo der Vater als Ortspolizist ein Dienstzimmer hatte. Mutter Änne war eine geborene Minning. Nach dem Abitur 1962 am Eichendorff-Gymnasium Koblenz begann er ein Pharmazie- und Medizinstudium an der Universität Mainz, das er aber nicht beendete. Vielmehr kümmerte er sich um den Hausbesitz innerhalb der Familie und fand Gefallen daran, Häuser zu kaufen, umzubauen und zu vermieten. Am 2. Mai 1969 heiratete er Ingrid Rademaker aus Niederlahnstein, beide wohnten zunächst in Neuendorf, bevor sie im Mai 1978 nach Niederlahnstein verzogen.
Schon früh entdeckte Manfred Gillissen seine Leidenschaft für die Regionalgeschichte, besonders aber für die Geschichte von Neuendorf und Koblenz, aber auch für die Genealogie. Kein Archiv in Koblenz bzw. in der näheren oder weiteren Umgebung war vor ihm sicher, wenn es um Material zu dieser Thematik ging. Immer wieder führte ihn der Weg in das Pfarrarchiv St. Peter Neuendorf, das Stadtarchiv, das Landeshauptarchiv, das Bistumsarchiv Trier, das Stadtarchiv Neuwied und, und, und.
Besonders interessierten ihn zunächst die alten Neuendorfer Familien Nell und Miltz, seine Forschungen gingen soweit, dass er unheimlich viel Material für ein Neuendorfer Familienbuch zusammengetragen hatte, das aber leider nie publiziert wurde.
Schon als Jugendlicher erforschte er alte Neuendorfer Gebäude: wann wurde das Haus gebaut? Wer hat darin gewohnt? Sein besonderes Interesse galt u. a. der wohl uralten Scheune des Bauern Welter (Ecke Weltersgasse/Hochstraße) bzw. dem alten Pfarrhausbau von 1710, der 1899/1900 wegen des Pfarrhausneubaues abgerissen worden war. Er suchte mit dem Neuendorfer Chronisten Willi Gabrich nach Fotos. Als 1958 eine Generalsanierung der Kirche seines Heimatortes beginnt, kann er den totalen Eingriff in die Bausubstanz des neobarocken Baues (1912-1915) nicht fassen. Er ist entsetzt, dass alte sakrale Gegenstände (Prozessionsfahnen bzw. -laternen, Skulpturenteile etc.) auf dem Bauschutt landen. In späteren Jahren hat es ihn immer wieder gereut, dass er diese Gegenstände nicht geborgen hatte. Besonders enttäuscht war er, als das riesige Gemälde an der Stirnwand hinter dem Hochaltar – Der sinkende Petrus auf dem Meer, gemalt von Professor Stucke aus Bonn – entfernt und unsachgemäß gelagert wurde. Er versuchte heimlich, es zu bergen und zu restaurieren. Leider erfuhr der damalige Pfarrer von diesem Vorhaben und ließ das Bild zurückholen. Es verkam auf dem Kirchenspeicher. Ebenfalls in seinen Jugendjahren barg er eine Madonna bzw. Pieta, die durch ein Hochwasser in Neuendorf angetrieben wurde.
Auch nach seinem Umzug nach Niederlahnstein ist Manfred Gillissen immer Neuendorfer geblieben. Im Lauf der Jahre sicherte er einige alte Flößertruhen und Neuendorfer Grenzsteine vor Verlust aus Unachtsamkeit und Zerstörung. Über Neuendorf schrieb er einige unveröffentlichte Abhandlungen über das Gemeindehaus, die Gemeindebäcker, Hebammen, Schafweide, Fischerei, die Schule, die Lehrer sowie Fahr und Fergen.
Er war ein wandelndes Geschichtslexikon. Fragte man ihn nach einem Haus oder einer Familie, sprudelte es nur so aus ihm heraus: nicht nur für Neuendorf, sondern auch für Koblenz und Horchheim. Außerdem verfügte er über ein umfassendes landesgeschichtliches Wissen, wobei ihn besonders die Rechtshistorie (Privatrecht, kurtrierisches Landrecht) interessierte. Phänomenal war sein Gedächtnis, insbesondere für Personen und verwandtschaftliche Zusammenhänge. Seine ihm angeborene Bescheidenheit war leider aber auch der Grund dafür, dass er kaum etwas publizierte.
Seine reiche Materialsammlung ist für Historiker von unschätzbarem Wert, leidet aber darunter, dass Manfred Gillissen eine kaum leserliche Handschrift hatte: Seine Exzerpte sind schwieriger zu lesen als die Originale, die er abschrieb. Eine Leidenschaft war sein Interesse für die Kunst – er besuchte Auktionen, um seine Kenntnisse über die großen Maler der Region aus dem 19. Jahrhundert zu vertiefen, so dass er sich auch hier zum intimen Kenner der rheinischen Kunstgeschichte entwickelte. Seine Hilfsbereitschaft war ohne Grenzen, sein Fleiß und seine Ausdauer enorm. Unvergessen bleiben sein feiner, hintergründiger, unaufdringlicher und manchmal schelmischer Humor, seine Freundlichkeit, seine Liebenswürdigkeit. Das Geheimnis seiner Ausgeglichenheit und Freundlichkeit war die Zufriedenheit – und die schöpfte er aus seiner Arbeit in den Archiven. Ihm ging es nicht darum, mit seinen Kenntnissen zu glänzen, ihm ging es nur darum, geschichtliche Rätsel mit Hilfe von Archivalien zu lösen. Wer ihn kannte, freute sich mit ihm an seiner stillen Freude. Und wie diebisch konnte er lachen, wenn es gelang, ein archivisches Rätsel zu lösen.
Meine persönlichen Erinnerungen an ihn gehen Jahrzehnte zurück. Es war schon in meiner Ausbildungszeit im damaligen Staatsarchiv / heutigen Landeshauptarchiv, als ich ihn kennenlernte und mich damals schon wunderte, dass ein junger Mann ohne eigentlichen Beruf seinen Neigungen nachgehen konnte, so oft er wollte. Dann war er jahrzehntelang Benutzer des Stadtarchivs, und ich erinnere mich gern an viele interessante Gespräche in meinem Büro bzw. im Benutzersaal. Ich sage es in aller Offenheit: auch ich als Leiter des Stadtarchivs konnte von Manfred noch viel lernen!
In jahrzehntelanger, mühevoller Forschungstätigkeit hat er eine umfangreiche Materialsammlung zusammengetragen, die die Geschichte der Koblenzer Profanbauten (Wohnhäuser, Adelssitze, Wirtschaftsgebäude etc.) zum Teil bis zurück in die Zeit des Hochmittelalters dokumentiert. Seine überarbeiteten Exzerpte aus Archivalien des Stadtarchivs bzw. des Landeshauptarchivs Koblenz sowie weiterer staatlicher und Familienarchive sind der Grundstock für eine vom Stadtarchiv begonnene Publikation im Internet, das „Koblenzer Häuserbuch“.
Manfred Gillissen hat damit einen reichen stadt- und baugeschichtlichen, aber auch genealogischen und sozialgeschichtlichen Fundus zur Verfügung gestellt, dessen Wert für die Koblenzer Lokalgeschichte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Mein Kollege Michael Koelges hat in mühevoller Kleinarbeit die Bearbeitung für das Internet übernommen. Erfasst wurden, teilweise sogar komplett, die Häuser der Straßen Altengraben, Am Plan, Auf der Danne, Entenpfuhl, Florinspfaffengasse, Görgenstraße, Kastorgasse, Kornpfortstraße, Löhrstraße und Unterm Stern. Leider konnte dieses wohl einmalige Projekt durch die schwere Erkrankung von Manfred Gillissen nicht zu Ende geführt werden.
Obwohl es ihm eigentlich immer schwer fiel, etwas zu veröffentlichen, konnte ich ihn für die Mitarbeit am Horchheimer Kirmes-Magazin gewinnen, in dem er seit 1991 seine Serie „Höfe des Adels und des Klerus in Horchheim in kurtrierischer Zeit“ veröffentlichte. Auch den Heimatfreunden Horchheim gegenüber zeigte er sich immer von seiner offenherzigen Seite. Er kannte sich wie kein Zweiter in der Horchheimer Ortsgeschichte aus – egal, ob es um Familien oder Häuser ging.
Es war schwer für ihn, seine Krankheit anzunehmen, nicht nur, weil sie ihm körperlich Einschränkungen und Schmerzen in hohem Maße auferlegte. Viel schwerer war es für ihn, seinen Archivrecherchen nicht mehr in dem gewohnten Umfang nachgehen zu können. Sicherlich war der Tod für Manfred Gillissen die von ihm wahrscheinlich schon lange erhoffte Erlösung. Sein Privatarchiv muss unbedingt erhalten bleiben, selbst wenn es leider nicht mehr möglich war, es für die moderne digitale Technik zu erschließen. Es gilt daher, das Andenken und das Erbe von Manfred Gillissen der Nachwelt zu erhalten. Horchheim hat einen Freund verloren.
Willi Gabrich aus Neuendorf und meinem Kollegen Michael Koelges bin ich für Informationen dankbar.
Am sonnigen 5. August versammelten sich die Heimatfreunde Horchheim sowie interessierte Besucher auf dem eindrucksvollen Fort Konstantin, um an der Veranstaltung „Führung auf Fort Konstantin“ teilzunehmen. Die Erwartungen waren hoch, da es eine Gelegenheit war, die Geschichte von Koblenz, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, zu erkunden.
Die 1. Vorsitzende der Heimatfreunde, Gertrud Block, begrüßte die Teilnehmer herzlich und betonte die Bedeutung dieses historischen Ortes. Sie bedankte sich insbesondere bei Jopa, der die Führung organisiert hatte, sowie bei Dipl. Archivar Michael Koelges, M.A., Leiter des Stadtarchivs Koblenz, der die Führung durch die Ausstellung übernehmen würde.
Herr Koelges, mit seinem Fachwissen und seiner Erfahrung, stellte sich den Anwesenden vor und sprach über die Ausstellung des Stadtarchivs, die einen tiefen Einblick in die Geschichte von Koblenz während des Zweiten Weltkriegs bieten würde.
Mit Spannung und Interesse erwarteten die Teilnehmer die bevorstehende Führung, bei der sie die Möglichkeit hatten, mehr über die Geschichte ihrer Stadt zu erfahren und ihre Fragen zu stellen.
Geschichte des Forts Großfürst Konstantin und der Karthause
Wir stehen vor dem imposanten Fort Großfürst Konstantin, das zwischen 1822 und 1827 erbaut wurde. Doch um die Geschichte dieses Ortes zu verstehen, müssen wir weit zurückblicken, bis ins Mittelalter. Der Stadtteil hier oben wird die Karthause genannt, benannt nach den einst ansässigen Kartäusern. Bis zur Französischen Revolution und der Besetzung des Rheinlandes durch die Franzosen gab es hier oben auf dem Bergsporn des Hunsrücks ein Kartäuser-Kloster. Dieses Kloster wurde von Erzbischof Balduin von Luxemburg in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gegründet, auf dem Gelände eines älteren Benediktinerklosters aus dem zwölften Jahrhundert. Das Benediktinerkloster erreichte jedoch nie große Bedeutung, was zur Einrichtung des Kartäuser-Klosters führte. Letzteres existierte bis zum Einmarsch der Franzosen im Jahr 1794.
Heutzutage bietet das Gelände eine beeindruckende Aussichtsterrasse, die als eine der schönsten von Koblenz gilt. In der Mitte des Geländes befindet sich die alte Krypta der Klosterkirche, die vor einigen Jahrzehnten freigelegt wurde. 1794 kam das klösterliche Leben aufgrund der Napoleonischen Kriege zum Stillstand. Nach dem Wiener Kongress und dem Friedensschluss wurde das Rheinland Preußen zugesprochen. Obwohl Preußen ursprünglich das Rheinland nicht favorisierte und stattdessen Sachsen angeschlossen hätte, akzeptierte der preußische König die Entscheidung aufgrund der strategischen Überlegungen, einen militärischen Puffer gegen das potenziell wiedererstarkende Frankreich zu schaffen. Infolgedessen umgab Preußen die Stadt Koblenz mit einem Festungsgürtel als Verteidigungsmaßnahme.
Festung Koblenz-Ehrenbreitstein und ihre vorgelagerten Festungswerke
Die Geschichte der Festung Koblenz reicht weit zurück, bis in die Römerzeit und darüber hinaus. Doch unser Blick richtet sich auf die Barockzeit, insbesondere das 17. Jahrhundert. In dieser Zeit wurde eine Festungsmauer um die Stadt errichtet, die später von den Preußen gemäß der damaligen Festungsbau-Methoden wieder aufgebaut wurde. Doch das war nicht alles. Die preußische Militärtechnik sah vor, die Stadtbefestigung durch umliegende militärische Anlagen zu verstärken. Hier kommt die Festung Ehrenbreitstein ins Spiel, die nach preußischer Nomenklatur als „Feste Ehrenbreitstein“ bekannt ist. Diese Festung, zusammen mit den umliegenden Bergen, bildete die Festung Koblenz-Ehrenbreitstein.
Ein bedeutender Teil dieser Festung waren die vorgelagerten Festungswerke, bekannt als „Festen“. Diese Festen hatten eine lange Geschichte und reichen bis ins Mittelalter zurück. Die Trierer Kurfürsten bauten den Ehrenbreitstein in der frühen Neuzeit aus, und die Preußen setzten ab 1815-17 den Befestigungsaufbau fort. Zur Sicherung gegen Angriffe aus dem Hunsrück wurde die Feste Kaiser Alexander errichtet, während auf der linken Moselseite die Feste Kaiser Franz in Lützel positioniert wurde. Als Vorwerk für die Feste Ehrenbreitstein diente das Fort Asterstein.
Diese Festungswerke trugen eigenständige Namen wie Kaiser Franz, Alexander, Fort Asterstein, die nach Herrschern benannt waren, mit denen Preußen freundliche Beziehungen pflegte. Die Festungswerke hatten wiederum Unterwerke, vorgeschobene Posten im Gelände, die in bestimmter militärischer Bauweise errichtet wurden. Ein Beispiel dafür ist die Neuendorfer Flesche, benannt nach ihrer pfeilartigen Form. Diese strategischen Elemente trugen zur umfassenden Befestigung der Festung Koblenz-Ehrenbreitstein bei.
Die Feste Kaiser Alexander, heute bekannt als Alt-Karthause, wurde nach dem Ersten Weltkrieg gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrags größtenteils geschleift, also zerstört. Diese Maßnahme sollte eine erneute Stärkung des Deutschen Reiches verhindern. Trotzdem sind in der Straßenführung der Alt-Karthause noch immer die Konturen der ehemaligen Feste Kaiser Alexander erkennbar.
Beim Betreten des Fort Konstantin fallen die hölzernen Tore auf, die geöffnet sind, sowie die eingefrästen Rillen an den Schrammsteinen. Diese Rillen stammen wahrscheinlich von den Ketten amerikanischer Panzer, die hier während der Kämpfe im März 1945 eingesetzt wurden. Die Löcher in den Türen sind ebenfalls Zeugnisse dieser Kämpfe. Die Luftschutzzentrale in der Festung diente als wichtiger Kommunikationspunkt, und die Soldaten hielten sich dort eingeschlossen, auch nachdem Koblenz bereits von den Amerikanern erobert worden war. Sie hatten noch Fernmeldeverbindungen und gaben den Standpunkt nicht auf, bevor ein gewisser Widerstand geleistet wurde.
Die Entscheidung, die Festungsanlagen trotz ihrer verminderten strategischen Bedeutung zu bewahren, basierte auf verschiedenen Faktoren. General Allen, der kommandierende Offizier der amerikanischen Besatzungstruppen, setzte sich vehement für den Erhalt des Ehrenbreitsteins ein. Die städtischen Bediensteten, unterstützt von der deutschen Stadtverwaltung, überzeugten die Militärs von der überholten Natur der Festungsanlagen. Zudem wurde argumentiert, dass die erhaltene Festung Ehrenbreitstein mit der amerikanischen Flagge als Symbol der Freiheit wirksamer sei als ein zerstörtes Gebäude.
Die Bedeutung der Fördervereine
Die Fördervereine haben eine wesentliche Rolle bei der Erhaltung und Aufwertung der historischen Gebäude und Anlagen in Koblenz gespielt. Diese Bauwerke befinden sich im Besitz der Stadt, und dank des ehrenamtlichen Engagements der Vereinsmitglieder konnten sie in einen guten Zustand versetzt werden, was möglicherweise nicht der Fall gewesen wäre, wenn die Stadt allein dafür verantwortlich gewesen wäre. Trotz finanzieller Engpässe haben die Fördervereine beachtliche Arbeit geleistet und wertvolle Kulturgüter bewahrt.
Die Entstehung der Ausstellung „Koblenz im Zweiten Weltkrieg“
Die Ausstellung, die vor uns liegt, ist eng verbunden mit der Frage, die uns bereits beschäftigt hat: Wie können wir dieses historische Festungswerk am besten nutzen? Wie können wir nach der Renovierung durch den Förderverein diese Räumlichkeiten sinnvoll einsetzen? Die Idee zu dieser Ausstellung kam Anfang der 2000er Jahre vom Seniorenbeirat, der den Oberbürgermeister dazu anregte, einen näheren Blick auf „Koblenz im Zweiten Weltkrieg“ zu werfen. Allerdings geriet diese Idee zunächst in den Hintergrund und wurde möglicherweise von der Verwaltung ein wenig ausgebremst. Doch fast ein Jahrzehnt später, etwa 2014/15, erhielt dieses Vorhaben neuen Auftrieb.
Unsere Reise durch diese beeindruckende Ausstellung begann auf Initiative von Kulturdezernent Detlef Knopp. Eine Schlüsselfigur bei der Umsetzung war Dr. Petra Weiß vom Stadtarchiv Koblenz. Sie hat mit bemerkenswertem Einsatz und einem bescheidenen Budget von 5.000 € diese Ausstellung ins Leben gerufen. Koblenz im Zweiten Weltkrieg – ein Projekt, das dank ihrer außergewöhnlichen Begabung Gestalt angenommen hat.
Der Fokus der Ausstellung liegt nicht nur darauf, die Folgen des Krieges zu präsentieren, sondern auch die Ursachen zu beleuchten. Diese Herangehensweise war für uns von höchster Bedeutung. Wie kam es zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs? Was waren die treibenden Kräfte dahinter? Diese Fragen sind von essenzieller Bedeutung, und wir werden im Verlauf der Ausstellung noch tiefer in diese Thematik eintauchen.
Ausstellung im Fort Konstantin
Die Metternicher Bombe: Ein Zeugnis der Vergangenheit
Direkt im Eingangsbereich erwartet uns eine imposante Luftmine, eine sogenannte britische Luftmine. Diese gewaltige Bombe wiegt etwa 1,8 Tonnen, wenn sie mit Sprengstoff gefüllt ist. Interessanterweise war der Zweck dieser Luftminen nicht allein ihre explosive Kraft, sondern die erzeugte Druckwelle. Gemeinsam mit Brandbomben abgeworfen, sollte die Druckwelle die Brände anfachen und einen verheerenden Feuersturm auslösen, der die Zerstörungskraft der Brandbomben verstärken sollte.
Die Forschung hinter dieser beeindruckenden Ausstellung verdanken wir insbesondere Dr. Helmut Schnatz, einem deutschen Germanisten und Geschichtswissenschaftler. Sein Engagement für die Luftkriegsgeschichte in Koblenz ist von unschätzbarem Wert.
Die „Metternicher Bombe“ erhielt ihren Namen durch ihre Entdeckung im Jahr 1999 auf dem Gelände der ehemaligen Pionierkaserne, das später der Universität gewidmet wurde. Dieser bedeutende Fund verdeutlicht die fortlaufende Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Die Bombenhülle wurde professionell entschärft und im Hochregallager der Berufsfeuerwehr eingelagert, bevor sie schließlich in die Ausstellung integriert wurde.
Ein weiteres beeindruckendes Ereignis war der Fund einer baugleichen Luftmine im Jahr 2011 am Pfaffendorfer Rheinufer. Diese Entdeckung führte zur bisher größten Evakuierungsaktion in Deutschland, bei der mehr als 45.000 Menschen ihre Häuser verlassen mussten. Dies zeigt eindrucksvoll, wie die Überreste des Krieges noch immer Einfluss auf das moderne Leben haben.
Ursachen des Zweiten Weltkrieges
Die Ursachen des Zweiten Weltkrieges finden sich in den Wurzeln des deutschen Nationalsozialismus, dessen ideologische Grundsätze von Adolf Hitler in „Mein Kampf“ festgehalten wurden. Diese Grundsätze beinhalteten die Vernichtung der Juden sowie die Expansion des deutschen Lebensraums. Die politische Instabilität der Weimarer Republik und die Weltwirtschaftskrise begünstigten den Aufstieg des Nationalsozialismus, der in den Reichstagswahlen immer stärker wurde, auch in Koblenz.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass katholische Bevölkerungen weniger anfällig für den Nationalsozialismus waren als protestantische, aufgrund ihrer kirchlichen Strukturen und Autoritäten. In einer überwiegend katholischen Stadt wie Koblenz spielte der Nationalsozialismus dennoch eine größere Rolle als erwartet. Die Gründe dafür werden im Verlauf der Ausstellung erörtert.
Gleichschaltung und Verfolgung von Minderheiten
Die Gleichschaltung nach der Machtergreifung führte zur Vereinnahmung des gesellschaftlichen Lebens durch die NSDAP. Vereine wurden nach dem Führerprinzip ausgerichtet, und Koblenz erlangte eine Zentralitätsfunktion für die Partei. Die Stadt wurde zum Regierungssitz und Mittelpunkt des Gaues Koblenz-Trier, was zu einer engen Verbindung zwischen Partei und Staat führte.
Die Verfolgung von Minderheiten, insbesondere der jüdischen Bevölkerung, nahm nach Erlass der Nürnberger Gesetze 1935 stark zu. In Koblenz wurden Deportationen von Juden und später auch von Sinti und Roma durchgeführt. Ein bezeichnendes Beispiel aus dem Stadtarchiv zeigt, wie die Verfolgung in den Einwohnermeldeunterlagen dokumentiert wurde, indem „evakuiert“ als beschönigender Ausdruck für Deportation verwendet wurde. Die Verfolgung von Minderheiten bildete eine düstere Realität während dieser Zeit und wird in der Ausstellung weiter beleuchtet.
Hitlerjugend
Die Hitlerjugend spielte eine bedeutende Rolle in der Mobilisierung der Jugend während der NS-Zeit. Ab 1936 wurde sie zur „Staatsjugend“ und umfasste alle zehn- bis 18-jährigen Jugendlichen. Mit Aktivitäten wie Geländespielen und Gemeinschaftsabenden sollten die Mitglieder auf eine militarisierte Zukunft vorbereitet werden. Im Verlauf des Krieges wurden Jugendliche auch in den Volkssturm einbezogen und für die Wehrmacht eingezogen.
Vorbereitungen zum Luftkrieg
Vorbereitungen zum Luftkrieg wurden sowohl von den Alliierten als auch von der deutschen Wehrmacht getroffen. Koblenz wurde von den Alliierten als potentielles Bombenziel erkannt, hauptsächlich wegen seiner Verkehrsknotenpunkte und Eisenbahnen. Im „Bomber’s Baedeker“ der Alliierten war Koblenz als Ziel verzeichnet. Die Deutschen führten Maßnahmen zum Luftschutz durch, wie das Entrümpeln von Speichern, um die Brandgefahr zu verringern. Luftschutzräume wurden eingerichtet, Sandsäcke und Löschmittel wurden verteilt, um auf mögliche Angriffe vorbereitet zu sein. Angesichts der Erinnerung an den Gaskrieg des Ersten Weltkrieges erhielt die Bevölkerung auch Gasmasken.
Der Bau von Bunkern wurde in Koblenz intensiviert, und die Stadt verfügte im Vergleich zur Einwohnerzahl über eine beachtliche Anzahl an Bunkerplätzen. Diese Vorbereitungen zeugen von den Anstrengungen der Stadt, sich auf die Realität des Luftkriegs vorzubereiten und die Bevölkerung zu schützen. In dieser Zeit wurden die Bürger auf die bevorstehenden Herausforderungen des Krieges vorbereitet und mussten sich auf mögliche Angriffe einstellen.
Bombenabwürfe über Koblenz
Die Stadt Koblenz hatte in gewisser Hinsicht Glück, da die schweren Bombardierungen erst vergleichsweise spät einsetzten. Während im Jahr 1942 bereits ein schwerwiegender 1000-Bomber-Angriff auf Köln stattfand, blieb Koblenz in diesen Jahren weitgehend verschont. Die ersten zufälligen Bombenabwürfe über Koblenz begannen im April 1942, hauptsächlich von amerikanischen Bombern, die auf ihrem Rückflug nach Großbritannien noch ihre Bombenlast abwarfen.
Es wurden gezielte Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung auf die Auswirkungen des Krieges vorzubereiten. Insbesondere nach den ersten Bombenangriffen erhielten die Bewohner von Koblenz Informationshandzettel, die Anleitungen enthielten, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie ihr Eigentum und ihren Besitz verloren hatten. Diese Anleitungen umfassten auch Informationen darüber, an welche Partei-Dienststellen oder städtischen Einrichtungen sie sich wenden konnten.
Die Bombenangriffe hatten verheerende Auswirkungen auf die Stadt und ihre Bewohner. Die Partei nutzte diese Angriffe oft für ihre Propaganda und betonte die vermeintliche Solidarität und Unterstützung der Partei für die Bevölkerung. Während die Amerikaner tagsüber Angriffe auf industrielle und Verkehrseinrichtungen durchführten, setzten die Briten unter dem Luftmarschall Harris auf nächtliche Angriffe, die auch Wohngebiete zum Ziel hatten. Diese Angriffe sollten die Bevölkerung demoralisieren und möglicherweise zu einem Aufstand gegen das NS-Regime anstacheln. Es wurde jedoch später klar, dass dieses Prinzip nicht die gewünschten Ergebnisse erzielte.
Die britischen Angriffe auf Wohngebiete waren eine Antwort auf die deutsche Praxis, die Zivilbevölkerung in Großbritannien zu bombardieren. Diese gegenseitigen Angriffe auf Wohngebiete und Kulturdenkmäler führten zu schweren Schäden und Verlusten auf beiden Seiten.
Die Beerdigungen der Opfer von Bombenangriffen wurden anfangs propagandistisch genutzt, um Parteiideale zu verbreiten. Die Bestattungen waren inszeniert und mit Parteiveranstaltungen verbunden. Dies verlor jedoch an Bedeutung, je häufiger die Luftangriffe wurden. Ein Beispiel für Widerstand gegen diese Instrumentalisierung war Pfarrer Paul Schneider, der sich weigerte, eine christliche Beerdigung in eine Parteiveranstaltung zu verwandeln und deshalb ins Konzentrationslager kam.
Eintopf-Sonntag und Rationierung
Bereits vor dem Krieg wurde der Eintopf-Sonntag eingeführt, um die Bevölkerung auf die kommenden Entbehrungen vorzubereiten. In einer Vitrine der Ausstellung sind Rezepte für den Eintopf-Sonntag zu sehen, die als Beilage in Zeitungen oder Faltblättern verteilt wurden.
Im Zuge des Krieges und der knappen Lebensmittelversorgung führte die Partei verschiedene Maßnahmen ein, um die Lebenshaltung zu rationalisieren und die Bevölkerung mit begrenzten Ressourcen zu versorgen. Eine solche Maßnahme war der Eintopf-Sonntag, bei dem sonntags Eintopfgerichte gegessen wurden. Dies diente zum einen dazu, die Menschen an die sich verschlechternden Lebensverhältnisse zu gewöhnen, und zum anderen, finanzielle Mittel einzusparen. Die Blockwarte sammelten montags das eingesparte Geld ein, da der Sonntagsbraten teurer war als der sparsame Eintopf. Diese Differenz floss in die Parteikasse ein.
Die Rationierung von Lebensmitteln während des Krieges wurde streng kontrolliert. Jede Familie erhielt Lebensmittel-Bezugsscheine oder Rabattmarken, die je nach Beruf und Kalorienverbrauch zugeteilt wurden. Diese Marken mussten beim Lebensmitteleinkauf abgegeben werden, um die entsprechende Menge an Lebensmitteln zu erhalten. Zusätzlich zu Lebensmittelkarten gab es auch Reichskleiderkarten, die den Kauf von Kleidung reglementierten.
Das städtische Wirtschaftsamt, das im ehemaligen Bürresheimer Hof, der früheren Synagoge, untergebracht war, spielte eine zentrale Rolle in der Rationierung und Verteilung von Lebensmitteln und Kleidung. Diese Maßnahmen waren Teil der umfassenden Rationalisierungsbemühungen der Partei, um die begrenzten Ressourcen effizient zu nutzen und die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen.
Alarmzentrale für Luftangriffe auf Fort Konstantin
Fort Konstantin spielte eine bedeutende Rolle im Luftkrieg, da hier die Alarmzentrale für Luftangriffe in Bezug auf die Stadt Koblenz untergebracht war. Das Flugwachkommando, das von der Wehrmacht betrieben wurde, war zunächst im Mallendarer Bachtal bei Vallendar stationiert, verlegte jedoch später aufgrund schlechter Nachrichtenverbindungen ins Görres Gymnasium (damals Kaiserin-Augusta-Gymnasium) und schließlich 1944 nach Fort Konstantin.
Die Warnzentrale hatte die Aufgabe, die Bevölkerung vor nahenden Luftangriffen zu warnen. Dazu wurden regelmäßig Warnkreiskarten verteilt, die Koblenz als Zielscheibe mit konzentrischen Kreisen darstellten. Wenn der Drahtfunk, der über Volksempfänger empfangen wurde, den Alarm 300 mit Zielrichtung Koblenz übermittelte, konnten die Bürger anhand der Karte erkennen, dass ein feindlicher Bomberverband sich in der Nähe befand. Dies löste je nach Entfernung und Bedrohung unterschiedliche Alarmstufen aus. Die Alarmierung der Bevölkerung erfolgte durch das Auslösen von Sirenen und anderen Warnsignalen in der Stadt.
Das Fort Konstantin spielte auch eine besondere Rolle als letzter Verteidigungspunkt der Wehrmacht. Ein Hauptmann und seine Einheit verteidigten das Fort bis zum letzten Schuss und es gab tatsächlich noch Kampfhandlungen auf dem Gelände.
Überwachung der Brücken
Die Überwachung der Brücken, insbesondere der Horchheimer Brücke, oblag der Wehrmacht. Die Horchheimer Brücke war von besonderer strategischer Bedeutung, da sie Teil der sogenannten Kanonenbahn war, die vom Kaiserreich geplant wurde und eine wichtige Verbindung für militärischen und zivilen Nachschub darstellte. Die Brücken wurden bewacht und bei Luftangriffen mit Nebelfässern eingenebelt, um sie vor feindlichen Angriffen zu schützen. Diese Nebelfässer enthielten ätzende Säure und wurden oft von Kriegsgefangenen bedient, da diese Aufgabe sehr gefährlich war.
Während des Großteils des Krieges war der Koblenzer Raum in Bezug auf Luftabwehr und Flakgeschütze eher spärlich bewacht. Die Alliierten waren über diese Schwachstellen informiert und nutzten Spionage, Luftbildauswertung und andere Techniken, um diese Lücken auszunutzen.
Evakuierung nach Thüringen
Der schlimmste Angriff auf Koblenz ereignete sich am 6. November 1944, bei dem die Stadt schwer zerstört wurde. Daraufhin wurde die Evakuierung der Stadt veranlasst, bei der nur wenige Tausend Menschen aus dienstlichen oder arbeitsbedingten Gründen in der Stadt bleiben durften.
Ab September 1944 wurden insbesondere Frauen, Kinder und ältere Menschen, die nicht zwingend in Koblenz anwesend sein mussten, nach Thüringen evakuiert. Thüringen galt als eine als sicher betrachtete Region in der Mitte Deutschlands mit ländlicher Struktur, die Schutz vor den Luftangriffen bieten sollte. Dieses Vorgehen war Teil eines landesweiten Systems von „Ausweichgauen“, das von den Parteigauen im gesamten Deutschen Reich eingerichtet wurde. Insbesondere in stark gefährdeten Gebieten wie dem Ruhrgebiet, Köln, Hamburg oder dem mitteldeutschen Industrierevier um Merseburg wurden diese Ausweichregionen festgelegt.
Die Evakuierung führte dazu, dass die betroffenen Bürger in das Eichsfeld in der Nähe von Mühlhausen, einer Region in Nord-Thüringen, kamen. Diese Maßnahme sollte der Sicherheit und dem Schutz der Bevölkerung vor den direkten Auswirkungen des Krieges dienen. Die Evakuierung nach Thüringen war eine von vielen ähnlichen Aktionen im gesamten Deutschen Reich, die während des Zweiten Weltkriegs durchgeführt wurden, um die Zivilbevölkerung vor den Kriegsgefahren zu bewahren.
Psychologische Kriegsführung und Ankunft der Amerikaner
Während des Krieges wurde auch psychologische Kriegsführung von beiden Seiten betrieben. Die Amerikaner simulierten einen deutschen Soldatensender, der Siegesmeldungen übertrug, aber mit dem Ziel, die Moral der Wehrmacht zu untergraben. Dies diente dazu, die deutsche Kampfkraft zu schwächen. Ton-Dokumente mit solchen Nachrichten wurde gefunden, aber aus Zeitgründen hier nicht vorgespielt.
Die Amerikaner erreichten Koblenz von verschiedenen Seiten. Sie überquerten den Rhein bei Dieblich und Niederfell, kamen von Lützel und der Hunsrückhöhenstraße herunter. Sie besetzten das linke Rheinufer und hissten die amerikanische Flagge (Stars and Stripes) vor dem Rathaus. Es wird darüber spekuliert, ob der Schuss auf die Statue des Kaiser Wilhelm im März 1945 absichtlich erfolgte, jedoch ist die genaue Geschichte nicht vollständig geklärt.
Die Ausstellung endet mit einem Film aus dem Jahre 1946, der einen Eindruck davon vermittelt, wie die Stadt am Ende des Krieges aussah und wie stark die Zerstörung war.
Sowohl die amerikanischen als auch die französischen Besatzungsmächte hatten Anweisungen erlassen, wonach die Bevölkerung alle Ferngläser, Fotoapparate und Filmkameras abgeben sollten. Trotz dieser strengen Regeln hat eine mutige Privatperson sich nicht an das Verbot gehalten und heimlich gefilmt. Der Film wurde scheinbar in einer Rocktasche oder auf ähnliche Weise aufgenommen. Dies verleiht dem Film einen besonderen Wert als historisches Dokument.
In abschließenden Worten zu der äußerst informativen Führung, die zweifellos als hervorragend bezeichnet werden kann, wurden die facettenreichen Aspekte von Koblenz im Zweiten Weltkrieg auf eindrucksvolle Weise vermittelt.
„Die lebendige Darstellung ermöglichte uns eine anschauliche Reise durch diese bedeutsame Zeit. Bevor wir nun unsere Wege trennen, möchte ich Ihnen von Herzen für Ihre großzügige Hingabe danken. Die Opferung Ihrer Zeit an diesem Samstag ist von unschätzbarem Wert. Ihre bemerkenswerte Anstrengung, Ihre Stimme für uns zu nutzen, und Ihr tiefes Wissen über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges haben dazu beigetragen, diese Erinnerungen wieder aufleben zu lassen. Als jemand, der ebenfalls in der Nachkriegszeit geboren wurde, schätze ich es besonders, stets neue Einsichten zu gewinnen und einen tieferen Einblick in vergangene Ereignisse zu erhalten. Es ist eine faszinierende Erfahrung, neue Informationen zu hören und zu sehen, und zu wissen, dass sie bewahrt werden. Aus diesem Grund möchte ich Ihnen erneut meinen herzlichen Dank aussprechen. Als Geste der Anerkennung und zur Pflege Ihrer Stimme überreichen Ihnen die Heimatfreunde Horchheim ein besonderes Weinpräsent. Möge dies Ihnen Freude bereiten und Gelegenheit bieten, auf diesen Tag zurückzublicken.“
Fort KonstantinFort KonstantinFeste Alexander und Fort KonstantinAusstellung 2. Weltkrieg in KoblenzDipl.-Archivar Michael Koelges, M.AAusstellung 2. Weltkrieg in KoblenzAusstellung 2. Weltkrieg in KoblenzAusstellung 2. Weltkrieg in KoblenzAusstellung 2. Weltkrieg in KoblenzAussichtsplattform Fort KonstantinBlick vom Fort Konstantin
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